Der Theatermacher Christoph Schlingensief liest am Dienstag, 24. November, im Bochumer Schauspielhaus aus seinem Buch „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein“. Im Interview sprach er über die Krankheit Krebs und sein Projekt eines Festspielhauses für Afrika.
In fast allen Interviews, die man derzeit von Ihnen liest, werden Sie als erstes gefragt: „Wie geht es Ihnen?“ Erleben Sie das als echte Anteilnahme?
Schlingensief: Man sieht schon Unterschiede. Im Boulevard-Bereich gibt es diesen Funken Anteilnahme, den man nicht unbedingt glauben will, aber in so genannten intellektuellen Blättern kam der Krebs sogar zweimal als Belästigung vor. Da frage ich mich, was mir lieber ist. Natürlich stehe ich nicht gern auf der Titelseite eines Boulevard-Magazins!
Im Moment kommt da ja auch noch Lafontaine mit ins Boot und mit Robert Enke haben auf einmal alle die Erlaubnis, über Depression zu reden. Da wahre ich durchaus meine Distanz. Die wahren Gespräche über das Thema habe ich nicht unbedingt am Mikrofon.
Trotzdem: Wie geht es Ihnen?
Schlingensief: Die Tablette, die ich nehme, hat wieder voll angeschlagen. Ich gehöre zu dem geringen Prozentsatz, wo sich die Metastasen nach der Einnahme sogar zurückbilden. Es gibt Nebenwirkungen, aber im Moment bin ich natürlich superfroh, dass es so läuft. Trotzdem bleibt die Angst und die Unschuld ist weg. Die Trauer und die Enttäuschung über das beschädigte Dasein bleiben.
In Ihrem Krebs-Tagebuch beschäftigen Sie sich oft mit dem Projekt eines Festspielhauses für Afrika. Ist es ein Sinnspender?
Schlingensief: Afrika ist für mich ein Land, wo ich etwas entdecke, etwas lerne. Kein Land, wo ich den Reissack reinschleppe und sage: Ich helf´ euch mal. Seit ich den Architekten Francis Kéré kennen gelernt habe, ist der Gedanke weg, dass ich da „etwas Gutes tue“, etwas hinknalle und sage: Das ist jetzt Kultur. Mit Kéré realisiere ich eine „soziale Architektur“, wo alle mitmachen. Wir haben dafür von Burkina Faso fünf Hektar Land geschenkt bekommen und im Januar soll es losgehen.
Was brauchen die Menschen dort? Kann man das als Europäer wissen?
Schlingensief: Der Grundgedanke bei dem Projekt ist tatsächlich „Von Afrika lernen“. Es wird dort zwar eine Schule geben und ein Theater mit Musik-Abteilung und Probebühne. Doch die Menschen sollen an sich selber lernen. Und wir schauen zu und sehen automatisch, was wir verloren haben. Die meisten Kinder in der Gegend sind ohne Fernsehen, Comics, Literatur aufgewachsen. Sie gehen auf Entdeckungsreise in einem unschuldigen, spirituellen Sinne. Und das sage ich, ohne esoterisch sein zu wollen.
Ihre einzige NRW-Lesung für das Festspielhaus geben Sie ausgerechnet am Bochumer Schauspielhaus. Dort waren Sie als Intendant im Gespräch. Sind Sie noch sauer, dass es nicht geklappt hat?
Schlingensief: Der Bochumer Kulturdezernent Michael Townsend hat Armin Petras angesprochen, ob er kommt. Petras konnte allerdings erst ein Jahr später und fragte mich, ob ich als künstlerischer Leiter mit ihm arbeiten würde. Ich hätte Schauspieler wie Josef Bierbichler, Angela Winkler oder Fritzi Haberland mit ans Haus gebracht. Ich habe den Dezernenten auch wegen meiner Krankheit darum gebeten, dass er mich ehrlich behandelt und gleich sagt, wenn es mit uns nicht klappt.
Er hat sich aber nicht mal persönlich gemeldet, sondern nur in der Zeitung seine Wahnsinnstat verkündet, zwölf Kilometer entfernt den Intendanten abzuwerben. Das hat dieses Theater wirklich nicht verdient: Feige Entscheidungen von Leuten, die Theater nur aus der Zeitung kennen. Ich liebe das Ruhrgebiet – viel mehr als Berlin – und würde dort immer wieder gern etwas machen.
Schauspielhaus Bochum: Christoph Schlingensief liest aus „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein“. Schauspielhaus Bochum (Kammerspiele), 24.11., 19.30 Uhr, Karten unter Tel. (02 34) 33 33 55 55.
Halterner Zeitung, Interview: Max Florian Kühlem, 19. November 2009