Am Freitag wurde am Schauspielhaus René Polleschs ulkig-analytischer Text «Calvinismus Klein» uraufgeführt. Und der schwerkranke Christoph Schlingensief besuchte mit seiner Neumarkt-Truppe von «Unsterblichkeit kann töten» die Kollegen im Pfauen
Wer etwas verstehen will im Theater soll besser gleich zuhause bleiben. Wer hingegen Lust hat auf sinnigen Nonsens, auf perfekte Schauspieler-Kunst-Stücke und tiefernsten Blödsinn, sollte sich die verlinkte Freundschafts-Theater-Coproduktion von Schauspielhaus- Neumarkt-Schlingensief-Pollesch & Co. unbedingt ansehen.
René Pollesch, der vielgelobte Theatertausendsassa unserer Zeit, präsentiert im Pfauen mit den hervorragend agierenden Martin Wuttke als Martin und Carolin Conrad als Carolin, was ihnen unter dem Titel «Calvinismus Klein» während den Proben so einfiel.
Interaktiv oder interpassiv?
Also: Es geht, wenn es denn um etwas geht, um die Beseitigung des «jahrzehntelangen Terrors des interaktiven Theaters, diese widerliche Kunstform der Geselligkeit.» Stattdessen ist gefragt und gesucht: interpassives Theater. Was? Das geht so, wenn es denn so geht: Martin mag nicht mehr alles selber machen, lieben und so Sachen z.B. Vielmehr möchte er alles delegieren, sich entlasten.
Der 70er-Jahr-Terror mit dem dauernden Aktivismus, der zum Konsumismus als Mutter des Kapitalismus führt, soll endlich aufhören. Nur Körper sind noch wichtig, Sinn ist Papperlapapp. Verstanden? Ist egal. Irgendwie stellen sich in dem analytisch- chaotischen Intellektuellengequassel von Wuttke/Conrad schon immer wieder Flashs ein, die entlarven, was die heutige Welt so verrückt macht.
Vor allem, weil die beiden in ihren Abendroben brillant spielen. In einem Variété-Raum mit Drehbühne (Janina Audick) feuern sie sich – mal real, mal gefilmt auf Bildschirmen – gegenseitig permanent zu sprachlichen und gestischen Kapriolen an, dass es eine Freude ist.
Schlingensief kommt zu Hilfe
Und als der ganzen Ulk doch etwas schlaff zu werden droht, kommt Christoph Schlingensief zu Hilfe. Das Schauspielhaus-Publikum konnte schon auf den Bildschirmen immer wieder sehen, was der mit seiner Truppe im Neumarkt Theater so treibt. Nämlich den baldigen Tod des Herrn Andersen (Jean Chaize) begleiten.
Mal schaltet sich der selber Schwerkranke Schlingensief direkt ein: ob das Thema des interpassiven Theaters im Pfauen schon behandelt worden sei? Und er kündigt den Tod von Herrn Andersen in etwa dreissig Minuten an; dann werde man rüberkommen ins Schauspielhaus.
Was bald schon auf Video mitverfolgt werden kann. Da sieht man die Schlingensiefsche Prozession mit dem das Kreuz tragenden Andersen, mit Chören, Maria und Kinderwagen auf dem Weg zum Pfauen am Kunsthaus vorbeiziehen; und schon sind sie realiter im Schauspielhaus, wo sie mit Chorgesang und Pomp durch den Zuschauerraum auf die Bühne stürmen.
Kurzer Spuk
Maria bittet um Aufnahme, Schlingensief als Papst Mabuse freut sich in der Schweiz zu sein und will nie mehr nach Deutschland zurück. Denn hier sei es so schön mit den komisch sprechenden Menschen und ihren Minarettpeinlichkeiten. Und Wuttke erzählt etwas von einer Fliege Porn-von-vorn, dann brechen Schlingensief & Co. wieder auf …. und: Das interaktive Happening, das ganz und gar nicht passiv war, ist schon nach einer Stunde zu Ende.
Es war ein Spuk, ein schön geselliger, sinnreich-sinnloser, witzig-frecher, kurz-würziger Theaterabend, das Publikum im Pfauen lachte sich krumm – wenige waren freilich sichtbar indigniert – dann gab es zwei Minuten tosenden Applaus und laute Bravos. (tan/sda)
Der Tagesanzeiger, 05.12.2009