Der deutsche Botschafter in Namibia, Dr. Wolfgang Massing, im Interview mit Christoph Schlingensief
Massing: Herr Schlingensief, als ich die Allgemeine Zeitung gelesen habe, war ich ganz schön sauer…
Schlingensief: Das ist aber auch eine komische Zeitung…
Massing: Sie wissen gar nicht, was ich hier gemacht habe. Ich habe wirklich unheimlich viel versucht, um mit den Hereros was zu machen. Eine ganze Menge! Wir haben zum Beispiel, das fand ich symbolisch, den S… [unverständlich] Herero, den damaligen Führer der Hereros, und seinen Enkel, Alfons… [unverständlich] Herero, nach Deutschland eingeladen und die haben dort dann die Nachfahren der Familie von Trotha, dem Herero-Schlächter Trotha, getroffen. Das war eine Geste der Versöhnung. Wir haben unheimlich viel gemacht! Zum Beispiel haben wir auch die Leiche eines Kämpfers, der im Kolonialkrieg nach Südafrika geflohen und dort gestorben ist, nach Namibia überführt und ihn hier erneut bestattet. Wir haben unheimlich viele kleine Projekte gemacht!
Das Thema Reparationen ist ein sehr schwieriges Thema. Die Hereros sind nur eine sehr kleine Bevölkerungsgruppe, sie machen sieben Prozent der namibianischen Bevölkerung aus, und die Regierung würde es mit tiefstem Mißtrauen sehen, wenn Deutschland jetzt einer Gruppe Geld zahlen würde als Kompensation für das, was sie damals erlitten haben. Das ließe sich auch gar nicht so einfach durchführen…
Schlingensief: Die Hereros waren mal mehr…
Massing: Ja, das waren damals 80 000. Und davon sind dreiviertel, also 60 000… Das sind so die Zahlen, aber das weiß niemand so genau. Das ist eine schlimme Geschichte. Das ist mir klar. Und dazu stehen wir. Ich glaube, ich war einer der ersten, der gesagt hat, was damals passiert ist. Damals, bei der 100-Jahr-Feier des Kriegsbeginns, bin ich raus gefahren und habe in O… [unverständlich] eine Rede gehalten. Die Hereros sind ja auch gespalten! Ich bin zu den R… [unverständlich] gefahren und zu den anderen Hereros, die hier gefeiert haben.
Was wir nicht können ist zu sagen, hier, liebe Freunde, hier habt ihr Geld. Außerdem wem würde man Geld zahlen wofür? Wir versuchen, daß auf andere Weise wieder gut zu machen, indem wir zum Beispiel in dem Gebiet, wo diese Menschen leben, Entwicklungsprojekte durchführen.
Schlingensief: Da bin ich ja besonders skeptisch. Wie übrigens auch Herr von Seydlitz, mit dem ich gestern gesprochen habe und der mir ganz in Ordnung zu sein scheint, im Gegensatz zu einem weißen Farmbesitzer in Lüderitz, der den Schwarzen lieber gleich in den Kopf schießen will. Diese Entwicklungshilfe, dieses deutsche Phänomen, Denkmäler zu bauen, um zu vergessen – wie zum Beispiel das Holocaust-Denkmal in Berlin… Aber das wirkliche Engagement fehlt doch, wo uns eben auch Herr von Seydlitz drauf gestoßen hat, eine Möglichkeit einzuleiten, einem afrikanischen Volk etwas zukommen zu lassen an Unabhängigkeit – sie scheinen sich ja offenbar gut selber zu organisieren. Die deutsche Art ein Denkmal zu bauen… und es stimmt aber vorne und hinten nicht.
Massing: Es geht aber auch darum mit den Menschen zu reden. Versöhnung ist nicht eine Sache von Geld. Wichtig ist etwas anderes, ich bringe ein Beispiel: In Okakahara gibt es Kulturzentrum, da haben wir Jugendliche aus Deutschland eingeladen und junge Hereros. Die treffen sich dort und schaffen etwas Gemeinsames. Das sind kleine Dinge, aber wichtige.
In Deutschland wußte niemand über das, was da mit den Hereros passiert ist. Es hat viele Ausstellungen gegeben, zum Beispiel die Rautenstrauch-Ausstellung. Kennen sie die? Man muß erstmal ins Bewußtsein bringen, was damals geschehen ist. Es hat Veranstaltungen gegeben, hier und dort. Für die Hereros ist die Geschichte ein Trauma, sie haben nie über die Vergangenheit geredet. Man muß darüber reden, sich aussprechen. Wir müssen anerkennen, da ist was Schlimmes passiert und uns tut das leid. Diese Seite ist sehr wichtig. Eine andere Seite, die sie als Außenstehender schwer wahrnehmen können: Es gibt natürlich Politiker, die dieses Thema instrumentalisieren für ihre Zwecke. Denen geht es nicht um Versöhnung, denen geht es nicht um Frieden, denen geht es um ihre Macht, so einfach ist das. Diese Politiker nutzen das Thema, sagen, he, ihr Deutschen, ihr müßt zahlen…
Namibia ist auch ein multiethnisches Land, ein multikulturelles Land, und wir müssen Interesse haben, daß es hier friedlich weitergeht. Stellen sie sich die absurde Situation vor – in Amerika gibt es ja diesen Prozeß, vier Milliarden US-Dollar werden verlangt, eine astronomische Zahl, vier Milliarden für eine Bevölkerung von Hunderttausend… Wenn wir das auszahlen würden, dann wäre das das Ende eines unabhängigen demokratischen Namibias. Dann würden die Hereros nämlich sagen, wir haben jetzt unseren eigenen Herero-Staat. Dann würde es Krieg geben, Zoff, Unfrieden…
Wir sind ja Außenstehende. Wir müssen Acht geben, daß wir in das innere Gefüge dieses Landes nicht eingreifen, dazu haben wir gar kein Recht. Wir wollen uns nicht als Neokolonialisten aufspielen und sagen, hier, wir mischen uns jetzt in eure Dinge ein. Wenn wir das täten, wie das einige Menschen in Deutschland denken, und sagen, gut, wir zahlen den Hereros Geld, dann…, die sehen gar nicht die andere Seite. Die Hereros sind Menschen, die sind sehr kämpferisch, die kämpfen für ihre Sache. Aber was ist unser Interesse? Wir wollen, daß es friedlich bleibt, daß die Ethnien sich verstehen.
Es gibt hier soviel an Geschichte aufzuarbeiten. Der Herero-Krieg ist nur eine Facette einer langen Geschichte von Krieg, von Konflikten, nicht nur zwischen den Kolonialisten, die hier rein kamen und das Land erobert haben und die Leute vertrieben haben und sich deren Land angeeignet haben und was da alles passiert ist, sondern auch zwischen ethnischen Gruppen hier. Es gibt eine lange Geschichte bevor die Deutschen kamen und es gibt eine lange Geschichte, nachdem die Deutschen kamen. Das muß man alles im Blick haben. Da tut sich eine grauenhafte Vergangenheit auf. Eine Apartheid-Zeit…, die Ovambos im Norden sagen, wenn ihr die Hereros bezahlt, was ist dann mit uns? Wir sind Opfer der südafrikanischen Apartheid-Geschichte. Wir haben unter der südafrikanischen Armee gelitten, usw. usw.…
Dann kommt die Urbevölkerung und sagt, wir haben ursprünglich in diesem Land gelebt, wir sind vertrieben worden, die Hereros sind gekommen, die Nama sind gekommen. Jeder ist Opfer von jedem, verstehen sie? Wir müssen diese Vergangenheit wahrnehmen, wir müssen sagen, das ist passiert und wir müssen alle daraus lernen und sagen, jetzt gucken wir in die Zukunft. Weg von dieser Victim-Story!
Schlingensief: Ich finde aber, mit tiefer Stimme Bedauern zu äußern, ist zu wenig! Es kann auch mal eine laute, deutliche Ansage geben, die sagt, Leute, wir haben wirklichen einen Fehler gemacht und wir sagen auch offen, es gibt ein Problem, wenn wir euch jetzt vier Milliarden geben würden… Das, was sie eben gesagt haben, das könnte man auch mal öffentlich aussprechen. Deutschland ist, was Offenheit angeht, immer verklemmt! Auch jetzt versucht unsere Regierung nur zu mauscheln und hinten rum und möglichst keinen Fehler machen, und wir wollen keinen Krieg und alles soll schön sein… Natürlich haben wir dazu auch guten Grund, weil wir zweimal auf den Tisch gehauen haben und zwar dermaßen, daß die Welt fast umgefallen ist. Trotzdem glaube ich, daß jetzt die Zeit angebrochen ist, offen zu sein, zu sagen, ja, wir haben einen Fehler gemacht.
Massing: Ich finde, das haben wir getan.
Schlingensief: Ich weiß nicht, mit Herrn Fischer ist die Kranzlegung so in Mode gekommen, daß man es kaum noch aushalten dann.
Massing: Aber die Rituale sind erwünscht.
Schlingensief: Wer will das denn?
Massing: Die Hereros wollen das. Das sind die Rituale. Das ist eben das Komplizierte. Die Hereros haben manche Art von ihren damaligen Kolonialherren verinnerlicht, die Uniformen, das martialische Gehabe – klar, ich fasse mir auch an den Kopf, wenn ich den Anführer in Uniform rumrennen sehe und er sagt, bald bin ich Feldmarschall! Es ist eine ganz merkwürdige Beziehung zu den Deutschen, ein Haß-Liebe-Verhältnis. Das ist das typische Kolonial-Syndrom, sie imitieren die Kolonialherren in bestimmten äußerlichen Verhaltensweisen, aber sie wollen sich auch emanzipieren.
Schlingensief: Ein Rechenbeispiel, das ich schon mehrfach gehört habe: Wenn bis 2011 46 % der Schwarzen an Aids sterben, die Deutschen aussterben und jetzt die Chinesen kommen – erklären Sie mir doch mal, wie das dann hier weitergehen soll! Legen die Deutschen dann weiter Kränze nieder und sagen, Frieden, es wird alles ganz toll, abends geht man zum Chinesen und zum Abschluß gibt es für jeden einen Glückskeks? Wie soll das in Zukunft weitergehen?
Massing: Ich würde dieses Horrorszenario nicht so dramatisch sehen, aber natürlich sind das riesige Herausforderungen.
Verstehen sie, es ist eine Gratwanderung. Ich möchte nicht paternalistisch auftreten und ständig sagen, so Leute, so müßt ihr es machen. Das haben die Leute hundert Jahre gehört. Verstehen sie meine Situation? Ich gehe nicht hin und gebe Anweisungen. Die Leute sind selbst dafür verantwortlich, was hier passiert. Ich bin nicht für die Zukunft des Landes verantwortlich. Ich kann nur sagen, wir sind bereit euch zu helfen, wenn ihr wollt, wenn ihr nicht wollt, dann nicht. Wir bieten das an, aber wir dürfen nicht in die alte paternalistische Rolle geraten. Ich glaube, wir haben mit unserer Entwicklungshilfe viel zu viele Fehler gemacht.
Schlingensief: Das ist schön von Ihnen zu hören. Ich sage Ihnen – weil sie sich ja auch über mich geärgert haben –, daß wir in dem Township Area 7 in Lüderitz und bei dem Rundflug mit Herrn von Seydlitz viel gelernt haben. Und ich gebe auch zu, daß wir viele Fehler gemacht haben. Ich habe mich über Frau Schreiber von der Allgemeinen Zeitung geärgert, die unnötigen Haß zwischen der Bevölkerung von Windhoek und Lüderitz geschürt hat, indem sie die beiden Theatergruppen gegeneinander ausgespielt hat…
Massing: Wie ist denn Ihr Eindruck von Lüderitz?
Schlingensief: Das ist ein hartes Pflaster. Das ist die Absicht meiner Arbeit. Wir glauben an Langzeitprojekte. Sie sind der Botschafter. Rufen sie doch mal bei Frau Völckers [Hortensia Völckers, Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes] an! Und wenn sie dann das nächste Mal in Deutschland sind, machen wir zu Viert eine Sitzung, dann kommt dann auch Frau Vollmer [Antje Vollmer, bis 2005 Vizepräsidentin des Dt. Bundestages und kulturpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen] und was weiß ich, wen wir da einladen, und dann beschließt man mal, daß man fünfhunderttausend Euro für ein Langzeitprojekt in Lüderitz investiert, wo man versucht, im Sandhotel und in Area 7 durch permanente Kontaktaufnahme mit den Leuten eine Sozialisation und eine Bewegung zu kriegen, die nicht den Monopolisten fördert, der sagt, ich komme mit Wasser und dafür mußt du lernen, aus der Tasse zu trinken oder so…
Massing: Dieses Umsiedlungprojekt der Regierung, Area 7, diese Blechbaracken, das ist unmenschlich, wie die Leute da untergebracht werden. Ohne Fenster. Wie große Särge. Das ist eine Sauerei!
Schlingensief: Das ist eine Sauerei sondergleichen! Jetzt ist nur die Frage, wer sagts? Wir haben es gesagt.
Massing: (lacht) Ich habe es auch vorsichtig gesagt. Ich habe gesagt, daß sei ja schlimmer als in der Apartheid-Zeit! Wollt ihr die Leute so unterbringen? Ich muß sagen, Lüderitz hat auf mich einen sehr depressiven Eindruck gemacht. Ich finde, man muß in die Zukunft schauen. Nicht immer nur die Wunde, die Wunde… Wunden brauchen auch Zeit um zu heilen. Und man muß den Leuten eine Perspektive für die Zukunft geben. Das Problem hier ist oft, daß man sich in diese Geschichte vergräbt: Wir sind Opfer… Wir sind Opfer des Kolonialismus, wir sind Opfer von allem möglichen. Und die Entwicklungshilfe kann so ein Syndrom noch verstärken.
Schlingensief: Lassen sie uns doch in Kontakt bleiben und dieses Langzeitprojekt starten.