Christoph Schlingensiefs Opernprojekt bringt eine fremde Kultur nach Burkina Faso. Bouri Kéré, der Häuptling des Dorfes Gando erzählt von den Weihnachtsbräuchen seines Stammes.
Es gibt Wahrheit, guten Tag. Haben Sie gut geschlafen? Und Ihre Frau? In der Zwischenzeit habe ich viel an Sie gedacht. Es ist die Wahrheit, wir, die hier leben, leben mit der Tradition Roogomiki.
Die Ankunft des weißen Herrn bezeichnen wir als noogro. Unsere traditionellen Feste sind Bangda und Kipsa. Wenn die Zeit für das Bangdafest gekommen ist, kochen die Menschen viel. Der ganze Tag wird durch das Essen bestimmt. Alle Verwandten kommen und feiern. Es gibt in diesen Tagen keinen Streit und keinerlei Auseinandersetzungen. Es geht um mich und unsere Ahnen und das, was unsere Vorfahren für uns hinterlassen haben. Seien es die Hühner, die Schafe, die Ziegen: In dieser Zeit wirst du alles geben, was du hast, um Frieden mit den Ahnen zu schließen. Wenn dein Vater stirbt, musst du auch eine Gabe bringen. Die Ahnen geben sich die Gaben durch die Generationen weiter, damit die ganze Familie mit einem langen Leben gesegnet ist. Die zurückgekehrten Kinder der Familie sind alle zusammen und rufen »Kililili, kililili!«, begleitet von den Trommeln, aus Freude über das gute Essen und die Feier. Man wünscht sich frohes »Fest, frohes Fest, einen guten Weg bis ins nächste Jahr«: Das ist unser Ritus, den man Bangda nennt.
Das ist die Wahrheit. Wir haben auch Kipsa. Leider ist diese Tradition durch die vielen Muslime ein wenig verloren gegangen. Kipsa ist ein Fest der Mossi, ihr Tag. Aber durch die Ankunft der Weißen oder mon père und Weihnachten hat sich die Situation geändert. Als sie hierherkamen, um unsere Kinder zu bekehren, wollten wir das nicht. Man hat uns gezwungen, sie sind gekommen und haben uns gesagt, dass wir unsere Feste und Traditionen, die Mahnga, nicht mehr begehen sollen. Die Kinder mussten zu den weißen Brüdern gehen, an den Unterrichtsstunden teilnehmen. Und dann wurden sie getauft – so konnten sie nicht mehr auf unsere Weise glauben und nicht mehr zu unseren Traditionen zurückkehren. Das kannst du nicht. Du kannst dann nicht mehr ein Huhn vor deine Ahnen bringen. Du kannst nicht an zwei Götter glauben. Aus diesem Grund haben wir unsere Riten reduziert. Deswegen feiern wir jetzt Weihnachten als Christen und Kipsa zusammen in einem Brauch. Doch trotzdem können wir die Gaben nicht sein lassen. Wir müssen zu unseren Ahnen kommen. Es gibt einige Riten, die musst du behalten. Vor allem, wenn Kinder geboren werden, gibt es feste Traditionen. Das sind unsere ursprünglichen Riten, und die sind uns wichtig. Und wenn du nun beide vollziehst, dann hast du zwei Arten, zu glauben. Besonders, wenn du das Bangda begehst. Wir konzentrieren uns auf Weihnachten, doch können wir nicht von unserem alten Glauben und seinen Riten lassen.
Wenn du geerntet hast, egal, was du bekommen hast, dann musst du danken. Das ist ein wichtiger Brauch. Auch wenn es dir keiner ausdrücklich sagt, weißt du es. Du musst den Geist der Erde mit Traditionen bitten, an die Seite des Dorfchefs Naaba zu treten, um ihn zu informieren, dass es ein Dankfest geben wird. So sind dann alle Bedingungen dafür erfüllt. Es ist dann die Aufgabe des Naaba, alle zu informieren. Egal, wo du bist, wenn du ein Kind des Dorfes bist, musst du über dieses Fest informiert werden. Dieses Fest des Dankes heißt Tengando. An diesem Tag dankt der Naaba, und man muss alles geben, um ein gutes Fest zu feiern mit viel Essen. Der Meister der Erde ist mitten unter uns, um mit uns Mahnga zu feiern. Man muss Opfer geben, es wird viel gekocht. So viel, wie es dir möglich ist, solltest du geben. Es wird dolo angesetzt, alle Opfer sind für die Ahnen, um ihnen für alles zu danken, was sie für das Dorf und die Familie tun. Wenn du kein Huhn hast, dann kannst du auch etwas anderes geben. So dankt man den Göttern, dass wir zu essen haben, und hofft auf eine gute Ernte für das nächste Jahr. Auch um den Regen bitten wir. Und die Menschen danken sich und geben sich gute Wünsche mit. Sie essen viel und feiern. Auch der Naaba muss zum Meister der Erde gehen und sich bedanken. Die Reste werden aufgeteilt und weitergegeben. Man ruft: »Gott sei Dank!«, dreimal hintereinander. Zuerst bekommen die Alten die Reste des Essens und zuletzt die Frauen und Kinder. Das ist wichtig. Und man wünscht sich alles Gute bis zum nächsten Jahr. Und dass das nächste Jahr noch besser werde als das vergangene. Und man wünscht sich viele neue Frauen und neugeborene Kinder. Früher war das so. Doch jetzt wünschen wir auch frohe Weihnachten.
Alle feiern Weihnachten!!! Es ist ein großes Fest!! Die Menschen sind zufrieden, sie feiern und tanzen, überall hört man Musik. Es geht nur darum zu essen, das ist Weihnachten. Wir feiern alle Feste, aber Weihnachten ist zum wichtigsten geworden. Die religiösen Feiern wie Bangda, Kipsa und Mahnga können wir nicht ganz verlassen. Und ich möchte nicht auf sie verzichten, deswegen begehe ich diese Feste zwei- bis dreimal im Jahr. Aber jetzt, in der Weihnachtszeit, versuche ich alles auf einen Tag zu legen und Weihnachten und unsere Traditionen zusammenzubringen. Und die Ahnen akzeptieren unsere Gaben und Opfer, das heißt, dass sie das akzeptieren und nicht gegen uns sind.
Christoph Schlingensief kommt von weit her. Ich wünsche ihm viel Glück, ganz besonders auch seiner Frau.
Am 16. Dezember dieses Jahres erzählte Bouri Kéré, Häuptling des Dorfes Gando, seinem Sohn Francis Kéré, dem Architekten des Operndorfes Remdoogo, von den Weihnachtsbräuchen in Burkina Faso.
Dieser Text ist dem Feuilleton der ZEIT Nr. 53/2009 entnommen, das Christoph Schlingensief gestaltet hat.