Gregor Gysi spricht in seiner Talk-Matinee im Deutschen Theater mit Christoph Schlingensief: ein Anekdotenfestival.
Am Ende seiner Talk-Matinee „Gysi trifft“ am Sonntag im Deutschen Theater nennt der Politiker den Künstler Christoph Schlingensief etwas plötzlich „einen Sterbelehrer, als solchen auch einen Propheten“, was den Gemeinten zusammenzucken lässt, aber da sind zum Glück schon zweieinhalb Stunden vergangen, in denen andere Dinge zur Debatte standen.
Gysi schafft es sogar, nur einmal das Wort „Provokateur“ auszusprechen, das Gespräch kommt auch nur kurz auf den Krebs und Schlingensiefs Tagebuch „So schön wie hier kann“s im Himmel gar nicht sein!“, das die Republik in zutiefst Berührte und solche gespalten hat, die rufen: Lasst mich mit eurem Krebs in Ruhe! Sicher, Schlingensief buchstabiert gerne noch mal den Namen des Medikaments, das seine Metastasen zweimal zurückgedrängt hat. Aber eigentlich will Gregor Gysi alles wissen, von Anfang an. Und da er offenbar noch nie erlebt hat, wie kataraktartig Schlingensief redet, wenn er einmal in Fahrt gekommen ist, hat er einen faustdicken Stapel mit Karteikartenfragen vorbereitet. „Wann hast du gemerkt, dass da was in dir wühlt?“, fragt er zum Einstieg. „Dass mit mir was nicht stimmt, meinst du?“, kontert Schlingensief.
Es ist der Auftakt eines Anekdotenfestivals, das auch vier oder fünf Stunden hätte dauern können, ohne langweilig zu werden. Das Publikum wirkt nicht so, als sei es schon zu Zeiten von „100 Jahre CDU“ mehrheitlich in die Volksbühne gepilgert, ihm wird also bei diesem Parforceritt durchs bewegte Œuvre, durch Filmemacherfrühzeit, Theateranfänge, Wiener Container-Querelen und Bayreuth-Turbulenzen der Künstler und Mensch nahegebracht, Schlingensief von A bis Z. Schlingensief-Kenner freuen sich nicht weniger, die geliebten Geschichten von dem Mann zu hören, der an diesem Tag kräftig wirkt, erzählfreudig, zuversichtlich. Bester Laune stichelt Schlingensief zwischendrin gegen Gysi, etwa, wenn er erzählt, wie er damals ein Telefonat mit seiner ersten großen Liebe Inge auf Band aufzeichnete, „das habt ihr ja auch immer gemacht“, viel Gelächter.
Natürlich geht es am Ende um das Festspielhaus, das Schlingensief in Afrika errichten wird. Ende Januar ist Grundsteinlegung in Ouagadougou, im Foyer werden Anteilsscheine à 50 Euro verkauft. Wer eine vorweihnachtlich frohe Botschaft erwartet hatte, der kann auf dem Nachhauseweg über Schlingensiefs Credo nachdenken: „Fragt nicht, was ihr für Afrika tun könnt, sondern was Afrika für euch tun kann.“
Von Patrick Wildermann (Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 21.12.2009)