»VON AFRIKA LERNEN, WAS WIR NICHT MEHR KÖNNEN« (ASPEKTE)

Veröffentlicht am Autor admin

Christoph Schlingensief und sein Architekt Diébédo Francis Kéré über ihr Operndorf-Projekt in Burkina Faso. aspekte, Sendung am 22.01.2010 um 23.00 Uhr im ZDF

Christoph Schlingensief nennt ihn seine „Lebensversicherung“ – ohne den Architekten Diébédo Francis Kéré hätte der Theaterregisseur sein Projekt „Festspielhaus in Afrika“ nicht begonnen. Mittlerweile planen sie ein ganzes „Operndorf“ in Kérés Heimatland Burkina Faso. Der Architekt und Schlingensief fahren in zwei Wochen zur Grundsteinlegung des „Festspielhauses Afrika“ – Zentrum des Dorfes. Eine Oper, eine Schule, Musik- und Tanzräume sowie ein Krankenhaus werden neben Wohnhäusern dort entstehen. Insgesamt sind bisher eine Million Euro Spenden zusammengekommen. Henning Mankell, Herbert Grönemeyer und Roland Emmerich unterstützen das Projekt mit jeweils 100.000 Euro.

aspekte: Wie sind Sie zu dem Projekt „Festspielhaus Afrika“ gekommen, aus dem ja jetzt ein Operndorf-Projekt geworden ist? Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Diébédo Francis Kéré: Als ich davon zum ersten Mal hörte, war ich sehr überrascht, ich hab gesagt ‚Hört auf mit der Spinnerei‘ und es gedanklich abgetan. Auf einer Konferenz in Südafrika habe ich dann Christoph Schlingensief kennen gelernt. Es folgten mehrere Gespräche, ich habe Christoph sehr lieb gewonnen – das ist ja Wahnsinn, was für eine Vision er hat. Diese Vorstellung, die in Europa zu Hause ist: ‚Die Oper als Institution‘ ist ja in vielen Kreisen auch etwas verpönt, da sie eigentlich nur für einige wenige Reiche bestimmt ist – ein Prestigeobjekt. Doch Christoph sprach von einem Kulturaustausch, von einem Zentrum, in dem Afrika sich darstellen kann. Da war ich der Meinung: Mensch, da muss man weiter drüber nachdenken.

Und so fingen wir an, uns auszutauschen und darüber zu reden, Reisen nach Afrika zu unternehmen – bis wir den Platz für unser Projekt gefunden hatten: Laongo in Burkina Faso. Meine Begeisterung für das Projekt wurde immer größer, weil ich gesehen habe, dass Christoph die Idee hat, Oper dahin zurück zu bringen, wo ihr Ursprung liegt. Eine Protestbewegung also, aber auch eine soziale Begegnung, wo Arme und Reiche sich treffen. Afrika ist der Ort, an dem wirklich Bewegung da ist. Es wird eine Kultureinrichtung für alle Geschichten sein.

aspekte: Gab es auch Zweifel an dem Projekt? Was hat die Hochwasserkatastrophe im September 2009 an den Plänen verändert?

Kéré: Ja, natürlich gab es große Zweifel. Wie baut man so ein Haus? Wo fängt man an? Woher kommt das Geld? Aber Christoph kann ja mobilisieren, unglaublich kann der mobilisieren. Bei mir gab es die Zweifel, denn ich komme aus dem sozialen Bereich. Ich bin nach Deutschland gekommen, habe dort studiert und während ich studiert habe, habe ich ein Konzept entwickelt, wie ich meinen Leuten zuhause helfen kann. Ich habe angefangen, einfache Häuser zu bauen – aus dem Material, was vor Ort war. Und plötzlich soll es heißen: Er baut er eine Oper! Ich hatte natürlich Zweifel. Aber im Gespräch mit Christoph habe ich gemerkt, dass er jemanden finden wollte, der daraus was für die Menschen machen kann.

Nach der Flut war ich mit unserem Bühnenbildner in Burkina Faso – und wir fanden den Ort nicht mehr, den Christoph und ich ausgewählt hatten, er war von der Flut weggespült worden. Da wurde klar: Von einer Oper konnte man nicht mehr reden, das wäre eine Beleidigung für die Menschen. Das wäre nicht mehr der richtige Zeitpunkt gewesen. Und Christoph hat auf unsere neuen Vorschläge sofort reagiert, er sagte: ‚Ja, Francis soll anfangen, Prototypen zu entwickeln – so billig wie möglich, ich werde etwas davon finanzieren, wir müssen schnell was für die Menschen machen. Jetzt ändern wir das Konzept und während wir bauen, lehren wir die Menschen, wie sie selber ihre Häuser bauen und so entwickelt sich was.‘

aspekte: Was wird im Operndorf passieren?

Kéré: Zunächst wird eine Werkstatt entstehen, von der aus wir zusammen mit Menschen aus Burkina Faso das Ganze aufbauen. Wir werden dann einen Veranstaltungsort aufbauen, der Kern der Anlage. Dann entwickeln wir Wohnräume für Künstler, Umkleideräume und so weiter. Was auch wichtig ist: Es wird dort eine Schule mit einer Film- und einer Musikklasse geben. Das heißt, es gibt Schulungsangebote für die Kinder der anliegenden Dörfer. Außerdem wird eine Krankenstation gebaut, nicht nur für die Leute die dort arbeiten werden, sondern auch für die Umgebung.

aspekte: Welche Oper würden Sie am liebsten als allererste im fertigen Operndorf erklingen hören?

Kéré: Das ist eine große Frage. Das Allerschönste wäre, wenn Christoph Schlingensief die Frauen aus meinem Dorf einlädt, um dort zu singen. Alles, was dort passiert, soll Burkina Faso bereichern.

aspekte: Was ist Ihre Herangehensweise und das Besondere an Ihrer Architektur?

Kéré: Ich sage immer, dass es wichtig ist, an den Ort zu gehen, an dem ein Projekt umgesetzt wird und dort nachzufragen: Was erwarten und brauchen die Menschen? Der nächste Schritt ist, zu schauen, was vor Ort an Baustoffen vorhanden ist. Lehm ist ein Problem, es wird in Afrika als „Arme-Menschen-Baustoff“ betrachtet und aus Erfahrung weiß man, dass ein Lehmbau die Regenzeit nicht überlebt. Nach langen Untersuchungen und Forschungen habe ich eine Methode entwickelt, den Lehm so anzumischen, dass er dem Regen standhält.

Mein anderer Schwerpunkt ist es, Häuser zu bauen, die keine künstliche Klimatisierung brauchen, da die Strompreise in Afrika gemessen am Pro-Kopf-Einkommen die höchsten der Welt sind. Tagsüber sind es über 40 Grad in vielen Teilen Afrikas, da sind Belüftungssysteme in Häusern sehr wichtig. Abgesehen von dem Projekt mit Christoph Schlingensief habe ich vor allem ein Traumprojekt: ein Forschungszentrum, um Menschen in Afrika zu schulen und zusammen mit Studenten zu arbeiten. Dann können alle voneinander lernen.

aspekte: Wie sind Sie nach Deutschland gekommen?

Kéré: Mein Vater ist der Dorfhäuptling, also das traditionelle Oberhaupt meines Dorfes und ich bin sein erstgeborener Sohn. Aus diesem Grund bin ich der einzige aus unserem Dorf, der überhaupt die Schule besuchen durfte, dafür habe ich mein Dorf mit sieben Jahren verlassen. Später habe ich ein Stipendium von der Karl- Duisberg-Gesellschaft erhalten, so bin ich nach Deutschland gekommen, habe mein Abitur nachgeholt, um Architektur studieren zu dürfen.

aspekte: Christoph Schlingensief, erzählen Sie von der Zusammenarbeit mit Francis Kéré.

Christoph Schlingensief: Kéré ist der, der mir den Mut gibt, so ein Projekt zu machen. Eigentlich hat man ja nicht alle Tassen im Schrank, es geht eigentlich gar nicht. Aber er ist da geboren, hat da ein wunderbares Schulprojekt gemacht, was ich selber besichtigt habe. Er geht nicht nur hin und baut irgendwas mit einem Dach und einem kleinen Gärtchen, sondern er arbeitet an der Technik, der Belüftung und so weiter. Als ich ihn getroffen habe, haben wir uns bereits nach zehn Minuten schon sehr gut verstanden – und jetzt noch viel besser.

Er ist der, der mir in die Seite haut und sagt ‚Sehr gut‘ oder ‚Was willste denn jetzt wieder hier?‘. Das ist meine Lebensversicherung, sonst sagt man ja: ‚Jetzt fährt er dahin und will noch ’ne gute Tat tun bevor er abkratzt.‘ Kéré ist der, der das Projekt immer wieder legalisiert, weil er da herkommt und weil er weiß, es lohnt sich und er tut es auch für sein Land. Da dabei zu sein ist, das größte Glück, das mir passieren konnte. Ohne ihn würde ich das nie machen.

aspekte: Welche Oper werden Sie aufführen?

Schlingensief: Die Oper heißt ‚Das Leben und nichts als das Leben‘. Ich will kein Event fördern. Ich hab das Wort ‚Opernhaus‘ bewusst am Anfang gewählt, da sind sehr viel Leute drauf eingestiegen: der Krebspatient, der bald stirbt, will jetzt noch eine gute Zat tun. Fitzgeraldo, Kinski, was macht DER Irre jetzt? Das ist jetzt alles schon weg, jetzt ist das Operndorf da und das ist aus Aufrika, das heißt der Markenartikel wird letztenendes ein afrikanischer. Und langsam wird man auch gar nicht mehr vom Operndorf reden, vielleicht nur für die ‚erste Klasse‘ um Kontakt aufzunehmen, später wird man sich um den afrikanischen Begriff kümmern. Ich würde den Teufel tun und da Opern aufführen von Wagner, das reicht schon völlig in Bayreuth – man muss die Leute dort nicht damit quälen.

aspekte: Was kann der Zuschauer im Festspiel-Dorf erleben?

Schlingensief: Ärzte verschrieben im antiken Griechenland erkrankten Menschen das Hören der Chöre. Die Oper ist sowohl Musik als auch Heilung – als auch Leben, als auch die Polis. Es waren Schwerverbrecher in der Oper – und Könige. Wie so eine Mischung von vielem, so stelle ich mir unser Projekt vor. Man geht nicht hin, um ein Event zu erleben, sondern vielleicht kommt man hin und läuft in ein Krankenhaus, in dem gerade ein Kind zur Welt kommt. Dann geht man weiter und da sind Bienen am Baobab – am Affenbrotbaum – und erkennt: Das ist genau der Sound, den die Oper bräuchte, um lebendig zu werden. Ich glaube, dieser Ort ist ein Spiegel und eine Fläche, an der wir von Afrika lernen, was wir nicht mehr können, für die Zukunft aber brauchen.

Eine Oper selber wird vielleicht in vier Jahren unser Thema sein, bis dahin wollen wir erst mal das Hören fördern, das Lernen am Menschen selber. Dann kann man sehen, ob man durch die Leute und Entwicklung vor Ort merkt: Jetzt können wir mit einem Kammerorchester beginnen, vielleicht wie in Offenbach. Ein Orchester mit 12 Leuten, vielleicht mit zwei Trommlern an Stelle der Pauke.

von Felicitas Twickel

Sendetermin: 22.01.2010, 23.00 Uhr, ZDF

http://aspekte.zdf.de/ZDFde/inhalt/7/0,1872,8015303,00.html