Christoph Schlingensiefs afrikanisches „Operndorf“ ergänzt einen seit gut 20 Jahren bestehenden Skulpturenpark
Der Berliner Regisseur Christoph Schlingensief (49) hat Anfang der Woche den Grundstein für sein „Operndorf“ im westafrikanischen Burkina Faso gelegt. Schlingensief und sein Planungsarchitekt Francis Kéré wollen in dem Dorf Laongo, 30 Kilometer östlich der Hauptstadt Ouagadougou, eine Schule für Musik- und Filmunterricht, Theater- und Veranstaltungsräume, Werkstätten und eine Krankenstation errichten. Mancherorts wurde das Vorhaben mit Fitzcarraldos wahnwitzigem Projekt verglichen, im lateinamerikanischen Dschungel ein Opernhaus zu errichten – man denke nur an Werner Herzogs entsprechenden Film mit Klaus Kinski.
Doch das Schlingensief-Projekt ist nicht in einem kulturellen Nirwana angesiedelt. Eine Filmschule zu gründen erscheint in Burkina Faso geradezu logisch zu sein – finden dort doch seit 1969, inzwischen im Zwei-Jahres-Rhythmus, die Internationalen Panafrikanischen Filmfestspiele Ouagadougou statt (Fespaco). Im Vorjahr wurden sie zum 21. Mal ausgetragen. Eine Auswahl der Filme ist regelmäßig bei „Africa Alive!“ in Frankfurt zu sehen sowie bei den Afrikatagen im Karlstor-Kino Heidelberg. Der frühere Fespaco-Direktor Philippe Sawadogo, jetzt Kultusminister Burkina Fasos, lobte daher nicht von ungefähr Schlingensiefs Projekt als Möglichkeit, erneut zu zeigen, über welche künstlerischen Ressourcen sein Land verfüge.
Und dass die Ortswahl für Schlingensiefs Kulturzentrum auf das Dorf Laongo fiel, muss ebenfalls nicht erstaunen – besteht der Skulpturenpark dort doch schon seit über 20 Jahren.
Wachsende Ausstellungsfläche
1989 hatte das damalige Kultusministerium Burkina Fasos die Ausrichtung eines internationalen Bildhauercamps beschlossen. Seither arbeiten alle zwei, drei Jahre Künstler aus aller Welt für rund einen Monat in Laongo. Untergebracht sind sie in rundgemauerten, zimmergroßen Häusern. Die Künstler gestalten Steine, die sie in freier Natur zahlreich vorfinden, und weiten so mit neuen Arbeiten das Gelände des Skulpturenparks aus.
Der französische Bildhauer Paul Marandon hat einen Fuß aus dem Stein gemeißelt und ihn „Liberté“ getauft, Freiheit, wie sich das für einen Franzosen gehört. Aus dem Fels meißelte Marandon einen Sockel, auf dem der Fuß ruht; unbearbeiteter versus bearbeiteter Stein, Geometrie versus organische Form, Biometrie und die Fähigkeit zur Fortbewegung: Der Mensch meistert die Materie – wenn das nicht Freiheit ist!
Ky Siriki aus Burkina Faso hämmerte schon 1998 als Relief einen Pferdekopf samt Menschengesicht aus einem Fels – „Yennenga“ ist das Werk betitelt und erinnert an eine Überlieferung der Mossi, der Volksgruppe, die noch heute auf dem felsigen Plateau um Laongo und um Ouagadougou lebt. Yennenga hieß einst eine Prinzessin, die als Heerführerin zahlreiche Schlachten gewann. Gleich mehrere Künstler haben in Laongo einen großen, langgezogenen Felsblock gestaltet, mit Ornamenten, Schriftzügen und Gravuren, die an frühgeschichtliche Felsmalereien erinnern. In der Tat gibt es im Süden von Burkina Faso derlei Felszeichnungen im Original – die Künstler heute besinnen sich schlicht auf die Kunstgeschichte ihres Landes.
Zukunft durch Kultur
Ein Beispiel dafür gibt auch ein kleinerer Stein in Laongo, der auf seinem Rücken ein Hieroglyphen-Relief trägt: eine Menschenfigur, dazu ein Gesicht vielleicht, Schriftzeichen auch? Jedenfalls ein Appell, dass Afrika beileibe kein geschichtsloser Kontinent ist, dass in seiner Erde noch zahlreiche Spuren menschlichen Lebens und Wirkens zu finden sind. Erst vor wenigen Jahren hat man im Norden Burkina Fasos eine Siedlung entdeckt, die von regem Handelsverkehr im 12. Jahrhundert zeugt. Sie wird von Archäologen zugänglich gemacht – als aus Lehmsteinen errichtetes Zeugnis einer frühen Kultur.
Genau das war 1969 der Grund gewesen, die Filmfestspiele in Ouagadougou zu schaffen, und es war 1989 der Impuls für die Gründung des Skulpturenparks Laongo: ein Zeugnis zu hinterlassen vom zeitgenössischen Leben, und daran zu erinnern, dass ein Land ohne Kultur weder Vergangenheit noch Zukunft hat. Burkina Faso aber hat Laongo, es hat die Filmfestspiele Ouagadougou – und bald auch das „Operndorf“ von Regisseur Schlingensief. Von wegen Wahnwitz in der Wüste.
Aus: Mannheimer Morgen, 11. Februar 2010