Dreizehn Container transportieren das Innere von Christoph Schlingensiefs Operndorf nach Laongo, Burkina Faso – Eine Reportage
Lomé, 32 Grad Celsius, morgens um vier und am Boulevard ist noch Licht. Hinten, beim Hotel Palm Beach, nahe der Grenze zu Ghana. Bottichgroße Leuchtkörper, neben jedem ein Generator, Motten, Fliegen, im dichten Schwarm. Beim Palm Beach laufen die Huren vergeblich auf hohen Hacken, vier Mann auf der Baustelle, sie schwitzen in Strömen, reden nicht gern. Fingern an der Teermaschine. „Im Februar“ , nuscheln sie, sei die Baustelle fertig. Der Boulevard am Strand, fast bis zum mächtigen Hafen hinter der Stadt, Verkehr wird umgelenkt, sandig der Grund, Kreuzungen erneuert. Ende Februar sind Wahlen in Togo, der Potentat stellt sich dem Volk, da macht sich so ein Boulevard gut, zu viert stehen sie um die Maschine, ab und zu blicken sie auf den Verkehr, schwarz liegt der Teer hinter ihnen. Es heißt, Geld aus dem Wirtschaftsverband Westafrikanischer Staaten würde hier verbaut. Wenn der Boulevard nicht reicht, wird es wohl wieder das Militär richten: Der Präsident führt die Diktatur des Vaters weiter, mit anderer Verpackung.
Die Sonne geht auf: Die Stadt ist flach, Reste kolonialer Architektur, zerrüttet. Abseits der Boulevards sind die Straßen aus Staub, die Menschen leben in Hütten, halb eingefallen. Es gibt keine Kanalisation, oft kein fließendes Wasser. Die Dinge sind sich selbst überlassen. Eine geteerte Straße, so spotten sie, führt sonst zur Mätresse des Präsidenten.
Am Hafen sollen 13 Container ankommen. Sie transportieren die Innenausstattung von Christoph Schlingensiefs Operndorf. Weihnachten ab Hamburg, vier Wochen später in Lomé. Zum Hafen also. Aus der diesigen Hitze tauchen Mauern auf, Männer, die pinkeln, dahinter Kräne und Containerlandschaften. Müll. Der Hafen ist eine der wichtigsten Einkommensquellen des Landes, für die Taschen des Präsidenten, sagen viele.
„13 Container à 20 Fuß machen in Afrika sieben Lastwagen,“ sagt Étienne Yawo Dable. Spediteur, kennt sich aus: Er hat in Deutschland studiert: Lastwagen, in Deutschland für zwanzig Tonnen zugelassen, tragen hier das Doppelte. Im Büro der Speditionsfirma hängt ein Wochenplan: Das Schiff ist zu früh, die Ladung wird bereits gelöscht. Rose Ahodikpe Speditions-Agentin, Abteilung See, lächelt breit. Zum Hafen: Händeschütteln beharrlich, Vorzimmer, Funktionäre, Genehmigungen, Assistenten. Die Idee ist: Ein Kleinbus, in den möglichst viele Abteilungsleiter, Gewerkschafter und Sekretäre passen, damit alle Genehmigungen sofort, vor Ort ausgesprochen werden. Nichts ist sicher, in einer zweiten Runde wird Papier eingesammelt, die Chefs bekommen ihre Hände erst über den Tisch zurück, wenn sie zustimmen, dass ich filmen kann. Und ja, sie wollen die Hände zurück, rufen nach Assistenten, nach Genehmigungen, nach Eile: Alles soll schnellstmöglich zum Wirtschaftsdirektor des Hafens, zu Herrn Néné. Einer sagt, beim Hinausgehen: „Unbedingt mit Helm!“
Ausladen, umladen, der Hafen ist ein Ballett mit Tonnen aus Metall, brüllenden Arbeitern, Hitze, Bestechung: Die Chauffeure zahlen für die Einweiser, zahlen, damit sie als Erste dran sind, zahlen für die Auslöse. Das Beladen ist ein genau kalkulierter Rhythmus: Stoisch blickende Gabelstaplerfahrer, drei Meter hoch die Kanzel, schweigend, bestimmt. Unten rennen, flüchten, gestikulieren Männer mit Papieren und Armen. Oben: eilig, nie hastig. Zuletzt hat ein Fahrer seinen Hänger unglücklich abgestellt, den Rückwärtsgang verweigert kratzend das Getriebe. Der Stapler setzt kommentarlos ab. Er hat Wichtigeres zu tun, die Audienz ist vorbei. Einen Helm gab es nie.
Nach Norden: 1050 Kilometer, und die Fahrt beginnt nicht. Zollformalitäten, Versprechungen, Schmiergeld: Vom Hafen zur Zollabfertigung über eine Straße aus Staub und Müll. Tage vergehen am Zoll, noch einmal ein Geldschein, losfahren am Abend. Der Konvoi ist früh gespalten, einer entschließt sich zum späten Reifenwechsel, die Maschinen sind alt und unterschiedliche stark. Ich fahre mit dem modernsten Lastwagen, Baujahr 1984, die Anzeige misst: 760.000 Kilometer. Moussa Kandoré, geboren 1956, in Tamasgo, Cote d’Ivoire, lächelt unsicher, nach einem Tag Schweigen werden wir uns mögen.
Die Nacht legt sich wie ein schwarzer Vorhang über das Land: Die Fahrer schlafen unter ihren Lastzügen im trostlosen Städtchen Atakpamé. „Eine Oper?“ Nicht Moussa, nicht der junge Beifahrer Srina Lassna kennen das Wort. Ein Theater, in dem gesungen wird. Warum nicht? Srina kann nicht sagen, wie alt er ist. Vielleicht fünfundzwanzig. „Normalerweise wissen wir nicht, was wir laden. Wir kehren gleich wieder um.“
Es gibt einen Berg, vor Kara: Neben manchen Zügen laufen zwei Sherpas, der eine hält einen Bottich, der andere schöpft Wasser durch die offene Motorhaube. Zur Kühlung. Der Straße ist gesäumt von denen, die es nicht geschafft haben, von denen, die noch reparieren. Auf dem Abstieg versagten, vielleicht eine Stunde zuvor, einem Tanklaster die Bremsen: Aufprall auf Fels, der Hänger umgeworfen. Jetzt stehen zwanzig Jungs aus der Nachbarschaft, halten Eimer unter den auslaufenden Sprit, öffnen die Stutzen, Benzin rennt breit über den Asphalt.
450 Kilometer an einem Tag sind viel. Abfahrt um halb fünf, bis Dapaong ziehen sich die Stunden, längst hat sich dann die Savanne zwischen die Felder gedrängt, Büsche lösen Bäume ab, die Menschen leben in Häusern aus Lehm und Stroh. Das Leben im Norden ist bitter arm, folgte steinalten Rhythmen und Traditionen. Hier haben über 80 Prozent weniger als zwei Dollar am Tag, Lesen und Schreiben können die Wenigsten. Frauen tragen immense Ladungen auf dem Kopf, meterlange Latten, Kohlentöpfe in mehreren Etagen, grobe Klötze als Feuerholz. Dazu fahren sie Rad.
„Wir wissen noch nicht, warum wir das hier machen, aber in der Zukunft werden wir das verstehen“ , sagt Christoph Schlingensief, wenn er gefragt wird, warum. Ein Zitat von Beuys.
Am Wegesrand laden wir auf: Säcke mit Mehl und Kohlen, „für die Madam“ , grinst Moussa. Srina Lassna, der nicht lesen und nicht schreiben kann, klettert auf die Container, hievt, schwitzt, kann die Muskeln spielen lassen. In Cinkassé ist alles verrammelt, sonntags machen die Grenzer um sechs Feierabend. Die Fahrer betten sich zur Ruhe, Motorradfahrer bringen mich über die grüne Grenze, zur Unterkunft auf der anderen Seite. Die grüne Grenze ist braun: Im dünnen Scheinwerferlicht passieren wir Rinnsale aus Abwässern, verlassene Hütten. Wir fahren falsch, stürzen wiederholt fast aufs karstige Land, dem Fahrer sitzt die Angst im Nacken. Eine Anhöhe noch, dann legt er beruhigend die Hand auf mein Knie, alles wird gut.
Cinkassé und Bittou, Landesgrenze, Zollgrenze, Geduld: Tage vergehen, Lastwagen glühen in rotem Staub, wenig Bewegung. Einem platzt der Kragen: „Es geht nur um Geld.“ Etwa einmal alle hundert Kilometer klettern die Beifahrer, klettert auch Srina Lassna vom Laster, eine Mappe mit Zulassungspapieren, dazwischen ein Schein: der Zoll, die Polizei, die Gendarmerie wollen einen Obolus. Jetzt sitzen alle im Kreis auf ihren Liegen, nicken zur Wut des Kollegen.
An der Grenze pendeln freie Agenten in Fußballtrikots zwischen den Behörden, in Trauben um Uniformierte, wedeln mit Papieren. Moussa ist sauer, die Preise steigen, als feststeht, dass der Konvoi geschlossen passieren will. Am Nachmittag wird es billiger, dafür werden wir an der Zollgrenze länger warten müssen. Auf Nachfrage, immer dasselbe: Chefs sind nicht da, Unterlagen fehlen, das Internet klemmt. 45 Euro pro Lastzug kostet die Passage.
Bittou ist ein Markt aus Hütten, vor einer Zeile aus Lehmkammern: Auf dem Platz steht ein Kicker, wir spielen im Licht der Laternen, der größere Teil der Jugend will gegen den Nassara gewinnen, gegen den Weißen. Die Bälle sind schwarz, angenagt, man spielt nach Gehör: Ein hölzerner Knall, daneben. Metall: Tor. Gegen die Matadore des Orts, wir halten uns gut, gleichen aus. Beim 6:6 geht das Licht an, eine rasche Bewegung, Metall knallt laut, breites Grinsen: Nassara hat verloren.
Die Stadt ist höher, weiter: solide Mauern, geordneter Verkehr, Essen mit Besteck. Eine Stadt im Übergang, in der Nähe des Flughafens sind stauseegroße Flächen abgeräumt, die Stadtplanung macht ernst mit der Beseitigung des Informellen. Das neue Zentrum heißt Ouaga 2000. Übergang bleibt Dauerzustand: Baustellen liegen brach, wie offene Wunden harren sie versprochener Maßnahmen. Im Vergleich zu Lomé ist vieles moderner, und doch brauchen Formalia für den Transport erheblich länger. Eine Fahrt nach Osten nimmt die Ankunft voraus, nach einer halben Stunde der Weiler Ziniaré. Hier beginnt eine Schotterpiste, große Maschinen treiben selbst am Sonntag voran: Sie planieren eine Verbindung zum Dorf des Präsidenten. Wir fahren im Jeep. Irgendwann geht links ein Staubpfad ab, verliert sich auf einer Anhöhe, von Felsen begrenzt, mit drahtigen Bäumen. Laongo heißt die Gegend.
In der Ebene rufen Hirten ihr Vieh, wie seit Jahrhunderten vielleicht. Irgendwo klopft einer beharrlich auf Stein. Von den Felsen liegt einem die Landschaft zu Füßen, kahle Flecken, einzelne Bäume, der Boden braun. Die Eiszeit hat ihre Muster in den Fels gegraben, der Wind kommt in Stößen. Der Ort ist nicht unwirtlich, er ist nicht rau oder karg. Er ist nur: alt. Aus der Ebene klettern schließlich zwei Jungs auf die Felsen, sprechen nicht und dann leise, Dialekt. In den Haaren das Stroh vom Schlaf, im Blick die Überraschung ob der seltsamen Geräte in den Händen des Fremden. Die Sonne steigt rasch, die Gegend ist leer und still, es gibt keinen Schatten und kein Wasser. Alles ist hell und klar. Morgen kommen die Container. Dann baut Christoph Schlingensief hier ein Operndorf.
In der Zukunft werden wir das verstehen.
(Lennart Laberenz, ALBUM – DER STANDARD/Printausgabe, 13./14.02.2010)