Dass das keine gewöhnliche Filmvorführung wird, war von vornherein klar. Nicht nur, weil der Abend im HAU 1 als Performance angekündigt worden war: Christoph Schlingensief wollte den 1911 entstandenen Stummfilm “L’Inferno” von Guiseppe de Liguoro live kommentieren.
Wer sich einen mit soviel Pathos aufgeladenen Höllentrip aussucht, der hat noch anderes im Sinn als einfach nur zu plauschen über einen Film, den er sowieso eher “unglaublich steif, unglaublich belanglos, unglaublich interessant findet”. Der will auch über seine eigenen Ängste vor dem Tod reden. Schlingensief, 49, hat Lungenkrebs.
Eben erst hat er in Burkina Faso den Grundstein gelegt für sein Operndorf. Von ihm werde es “kein Bayreuth geben, jedenfalls nicht in Afrika. Das sollen andere machen”. Stattdessen fasst er die Idee, einen Ort auferstehen zu lassen, in dem es neben einem Festspielhaus eine Schule und ein Krankenhaus geben wird, kurz zusammen. “Oper kenne ich nicht, nur Operation”, habe ein junges Mädchen dort zu ihm gesagt, und das würde sie in jedem Fall unterstützen. Er rast durch seine Bildersammlung von der Zeremonie, bei der auch Stammesälteste anwesend waren. Hiermit sei für weitere Verbreitung seines Projektes gesorgt:
Er spricht unglaublich schnell. Irgendwann fällt es ihm auf, sein Blick geht hoch zu den Übersetzer-Kabinen. “Kommt ihr überhaupt noch mit?” Er plaudert, redet, durchaus mit Extase, aber trotzdem kontrolliert. Das Publikum ist willig, dem, der da so sachlich über Angstattacken, Sehnsüchte spricht, zu applaudieren. Schon als er die Bühne betrat, lässig gekleidet mit wirrem Haar wie ein zauseliger Professor und Lesebrille am Band, war der Jubel riesig.
Er redet sich schnell in Rage, Facebook, Vangelis, Helene Hegemann. “Die Frau muss doch mal jemand in Schutz nehmen!”, propagiert er und sagt, er nehme schließlich auch alles, was er kriegen könne.
Als er dann doch mal zum Inferno kommt und die ersten wackligen Bilder nackter Verdorbener im Höllenkreis auftauchen und Menschen in “gruseligen” Tierkostümen, erklärt er noch schnell, wie er sich die Performance gedacht hat. Die Vangelis-Musik, die heute den Kopien des Films unterlegt ist, schalte er dann mal weg, naja, jedenfalls teilweise, schließlich habe er nichts gegen Vangelis, der “hat mir diverse Werner-Herzog-Filme versüßt”. Aber dann gibt es noch Tierfilme und -geräusche, aufgenommen von Bernhard Grzimek, Klaus Kinskis “Jesus Christus Erlöser” und Ausschnitte aus “Der Exorzist”. Immer wieder Hubert Fichte, der über die traditionelle Psychiatrie in Togo referiert und ab und an Kommentare des Philosophen Kurt Flasch. Erstaunlich gut fügen sich das Sammelsurium und Dantes Besuch im Inferno zusammen. Ganz so wie früher, als der Christoph noch klein war und manchmal zu seinen Super-8-Filmen den Fernsehton von “Die bezaubernde Jeannie” mitlaufen ließ.
Er möchte noch “mit vielen Frieden schließen”, sagt er versöhnlich, und fragt sich, ob wir nicht vielleicht auch “so einen holzschnittartigen Quatsch” machen wie noch immer über ihm auf der Leinwand zu sehen ist.
Nimm den Applaus mit, Christoph, trag ihn nach Haus und nach Burkina Faso. Er war herzlich, ehrlich und nur für Dich.
Von Karen Grunow, Prinz Blog Berlin, 15.02.2010