SCHLINGENSIEF SPRICHT AUS DER HÖLLE (DEUTSCHLANDRADIO)

Veröffentlicht am Autor admin
Kann es wohl sein, dass die Berlinale, nun im mittlerweile reifen Alter von 60 Jahren einen gewissen Hang zum ernsten Fach, zum erhabenen und gut abgehangenen Großkunstwerk, zur sich auch ins zeitlos metaphysisch-mystische quälenden Hochkultur erkennen lässt?

Kolumne von Jürgen Stratmann

Schon am Freitag wurde ja mit „Metropolis“ ein Klassiker von nahezu wagnererskem Überwältigungspotential wieder-erst-aufgeführt, ein Opus nicht nur über die Verderbtheit des modernen Kapitalismus, nein, auch ganz allgemein über Sünde und Schuld und Erlösung – zwar ohne Worte, aber dafür mit großem Orchester.

Wie eine Art Nachschlag klang dann die Ankündigung für heute Abend, quasi als Teil 2 der Reihe „Stumm-Film-Alpträume mit Musik“: Im finsteren Theaterturm des Hebbel-Theaters sollte der gut 100 Jahre alte Monumental-Stummfilm „L’Inferno“ laufen, eine uralte Kino-Version von Dante Alighieris Höllentour – allerdings – präsentiert und kommentiert von Christoph Schlingensief. Und der hat nicht viel am Hut mit Klassiker-Verehrung – er fand die verkratzte Antiquität nur ….

„… unglaublich steif, unglaublich theatralisch, unglaublich lang – und unglaublich interessant!“

Nun hat Chrsitoph Schlingensief das Verwüsten von Klassikern nicht erst in Bayreuth gelernt, und seitdem er sein aggressives Lungenkrebsleiden mit der sinistren Sakral-Burleske „Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ in Szene gesetzt hat, gilt er als Fachmann für artifizielle Horror-Poesie auf großer Bühne – und er hat auch keine Scheu, dem Dante-Stoff ein bisschen Bunters beizumischen…

„… also, ich sach mal so ungefähr, was so alles sein soll – ‚Apocalypse Now‘, ‚Der Exorzist‘, ‚Die 1o Gebote‘, dann hab ich gedacht: ‚Die lustige Welt der Tiere‘, ‚Die Verdammten von Visconti‘, dann natürlich Grzimek – ‚Serengeti darf nicht sterben‘ – naja, das reicht auch erst mal …“

Das Publikum tobt schon, bevor der Film überhaupt angefangen hat, und Christoph Schlingensief wirkt ein wenig wie eine Art Jaques Cousteau der modernen Höllenfahrt: Er taucht scherzend ab, denn er kennt sich aus in finsteren Tiefen …

„… mit dem Ende beschäftige ich mich immer öfter – und es geht beim Inferno natürlich um das Ende.“

Und apropos Ende – am Ende hat Christoph Schlingensief sein Publikum überzeugt:

„… Na ja, wenn was unterhaltsam ist, dann die Hölle!“ (Gelächter)

Deutschlandradio Kultur, Fazit, 14.02.2010 · 23:05 Uhr