KÄMPFER, TRÄUMER, IDEALIST (WZ)

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Christoph Schlingensief erhält den Käutner-Preis.

von Marion Meyer

Düsseldorf. Seine Filme haben Titel wie „Freakstars 3000“, „100 Jahre Adolf Hitler – Die letzte Stunde im Führerbunker“ oder „Das deutsche Kettensägen-Massaker – Die erste Stunde der Wiedervereinigung“. Sie alle zeigen: Christoph Schlingensief hat nie für den Mainstream produziert, hat immer sein eigenes Ding gemacht – und sich nie bremsen lassen, auch nicht von seiner Krebserkrankung. Am Dienstag erhielt er nun den mit 10.000 Euro dotierten Käutner-Filmpreis der Stadt Düsseldorf.

„Es bewegt mich sehr“, sagte Schlingensief bei der Feierstunde. Es habe ihm gut getan, dass die Jury, zu der u.a. auch Regisseur Tom Tykwer gehörte, seinen Einsatz von Videos auf der Bühne honoriert habe. Denn Schlingensief mixt die Genres und ist in vielen zu Hause: Er inszeniert in Bayreuth, lehrt an der Universität in Braunschweig und baut gerade in Afrika ein Operndorf auf. Er ist ein Tausendsassa der Kultur: Aktionskünstler, documenta-Teilnehmer, Provokateur, ein Kindskopf, Kämpfer, Träumer, Moralist und Idealist. Dabei wirkt er, auch am Dienstag, immer absolut authentisch und unprätentiös.

Seine Kunst scheidet die Geister, lässt niemanden gleichgültig zurück, wie etwa sein Fluxus-Oratorium „Die Kirche der Angst“ bei der RuhrTriennale 2008, in dem er seine Krebserkrankung thematisierte.

Seine Kunst „dränge zur Auseinandersetzung und immunisiert gegen Gleichgültigkeit, Stumpfsinn und träge Unachtsamkeit“, wie der Düsseldorfer Oberbürgermeister Dirk Elbers am Dienstag in seiner Rede sagte. In seiner philosophischen Laudatio holte der Kritiker Georg Seeßlen weit aus und erläuterte den „karnevalisierten“ Kunstbegriff Christoph Schlingensiefs, in dem das Leben von Inszenierung geprägt ist, genauso wie sich in den Inszenierungen das Leben zeigen würde.

Wieder eine Inszenierung bei der Ruhr Triennale

Trotzdem, dass die Krankheit Schlingensief nach wie vor zeichnet, hat er viel vor: Das Operndorf in Burkina Faso ist ein Herzensprojekt, für das er immer noch Sponsoren sucht. Neben Opernklassen sollen dort den Menschen durch Film, Musik und Kunst neue Perspektiven eröffnet werden. Ein Krankenhaus verbessert die gesundheitlichen Bedingungen der Dorfbewohner.

Daneben wird er in diesem Jahr für die Staatsoper Berlin eine neue Oper von Jens Joneleit inszenieren und für die RuhrTriennale ein Afrikaprojekt mit dem Arbeitstitel „In Hilfe ersticken“ mit Corinna Harfouch, Milan Peschel und Irm Herrmann erarbeiten. Denn: „Weitermachen ist besser, als wenn man dasitzt und Trübsal bläst“, wie Schlingensief am Dienstag sagte. Sowieso nehme der dunkle Faktor schon viel Platz in seinem Leben ein.

Kämpferisch gibt er sich nicht nur in Bezug auf seine Projekte. So forderte Schlingensief bei der Feierstunde im Rathaus den Regierungspräsidenten Jürgen Büssow auf, das Theater seiner Heimatstadt Oberhausen zu erhalten und nicht „auf die Speisekarte der Müllcontainer“ zu setzen.

Westdeutsche Zeitung, 2. März 2010