Francis Kéré über das Operndorf für Afrika – und was es den Menschen neben der Kultur bringen soll
Tagesspiegel: Herr Kéré, zusammen mit dem Künstler Christoph Schlingensief arbeiten Sie gegenwärtig auf Hochtouren am Entstehen des Operndorfes für Afrika in Ihrer Heimat Burkina Faso. Schlingensief ist der Spiritus rector dieses Vorhabens. Sie sind der Architekt. Wie werden Sie Ihre Philosophie des nachhaltigen und angepassten Bauens im Operndorf umsetzen?
Kéré: Dem Projekt liegt die Idee zugrunde, dass alles, was und wie wir etwas planen, entwerfen und bauen Modellcharakter haben soll für andere Ortschaften in Burkina Faso. Alle Gebäude des Operndorfes werden Prototypen sein. Wir nutzen dabei technische Errungenschaften. Aber wir achten stets darauf, dass wir sie den ökonomischen, sozialen und klimatischen Gegebenheiten des Landes und den Bedürfnissen der Bevölkerung in Burkina Faso anpassen, damit die moderne Technik ihren positiven Effekt für die Menschen entfaltet und sich nicht in ihr Gegenteil verkehrt. Mit dieser Herangehensweise hoffe ich, Impulse zu geben für einen Entwicklungsschub in einem der ärmsten Länder der Welt.
Wie wird das praktisch aussehen?
Kéré: Wir werden zum Beispiel vor allem lokale Baustoffe verwenden wie Lehm. Der ist vorhanden und kostet nicht viel. Aber er muss modifiziert werden, damit er den Anforderungen an ein modernes Gebäude gerecht wird.
Was heißt modifizieren?
Kéré: Indem man dem Lehm einen gewissen Teil Zement beimischt. Dadurch erhöht sich nicht nur die Festigkeit, es wird auch verhindert, dass in die Gebäude Termiten eindringen, die ein Lehmhaus regelrecht zerfressen. Lehm enthält nun einmal organische Bestandteile. Das Beifügen von Zement verhindert aber auch, dass bei starkem Regen der Lehm abgewaschen wird und die Häuser zerstört werden. Also, man nehme 92 Eimer Lehm und füge acht Eimer Zement hinzu.
Ein Kochrezept für den Hausbau …
Kéré: Ja, die Menschen in meiner Heimat müssen sehen, wie etwas funktionieren kann. Vergessen Sie nicht, dass es in Burkina Faso keine Ingenieurskunst gibt und auch keine Wissenschaft davon.
Ich würde zu Ihrer Theorie vom nachhaltigen und angepassten Bauen gern noch mehr Praktisches hören.
Kéré: Ich achte von Beginn an darauf, dass die Gebäude so beschaffen sind, dass sie später ohne großen technischen und finanziellen Aufwand von den dort lebenden Menschen gewartet werden können. Nehmen wir das Problem der Klimatisierung: Die Häuser werden so gebaut, dass sie sich selbst klimatisieren – nur mit Sonne und Wind. Wir verzichten auf aufwändige technische und Energie verbrauchende Anlagen.
Und wie wollen Sie das schaffen?
Kéré: Die Sonne wird die Dächer erhitzen. Dadurch entsteht ein Kreislauf innerhalb der geschlossenen Räume. Die Luft zirkuliert: Heiße Luft steigt nach oben, wo sie durch Öffnungen entweichen kann, und frische Luft strömt von unten nach.
Welches Problem und dessen Lösung liegt Ihnen besonders am Herzen?
Kéré: Ganz wichtig ist mir zum Beispiel das Abwasserproblem. In Burkina Faso gibt es keine richtige Kanalisation. Wir überlegen, wie wir die Kläranlagen so konzipieren und bauen, damit sie auf jeden Ort im Land übertragbar sind. Wir brauchen ein Klärsystem, das sehr pflegeleicht ist, und wir wollen es selbst entwickeln. Eine Herausforderung besteht unter anderem darin, dass die Kläranlagen keine Ansiedlung für Moskitos werden dürfen. Sonst besteht die Gefahr, dass von dort aus Krankheiten wie Malaria verbreitet werden.
Warum betonen Sie das Selbstentwickeln so stark?
Kéré: Wenn wir alles wieder nur den Europäern überlassen, geht für uns Wissen verloren, denn mit dem Ende des Projektes kehren sie nach Europa zurück. Unter nachhaltigem Bauen verstehe ich eben auch, die lokalen Kräfte und wenn Sie wollen, die Menschen in ganz Burkina Faso zu aktivieren, damit das Wissen, das wir bei diesem Projekt sammeln, im Land bleibt und nicht abwandert.
Wie partizipiert die einheimische Bevölkerung schon jetzt an dem Operndorf?
Kéré: Etwa 50 Arbeiter aus den umliegenden Dörfern sind derzeit auf der Baustelle beschäftigt. Auch der Bauleiter kommt aus der Region.
Die Energieversorgung dürfte kaum problematisch sein – an Sonne ist kein Mangel in Afrika.
Kéré: Ja, ja, so denkt der Europäer: viel Sonne, viel Solarenergie. Aber Solarzellen sind Hightech. Wo sollen sie denn herkommen? In Europa, Asien oder Amerika Container mit Solarzellen zu bepacken und nach Burkina Faso zu schicken – das ist für mich das Gegenteil von nachhaltigem und angepasstem Bauen. Erstens ist das viel zu teuer und zweitens bringt das keinen einzigen Arbeitsplatz. Wenn Solarenergie, dann müssen wir Hersteller finden, die die Solarzellen in Afrika produzieren zu ökonomisch vertretbaren Bedingungen. Noch einmal: Mein Weg ist es eben nicht, fertige Technologien und Produkte aus dem Westen einfach zu importiern, sondern Lösungen neu zu entwickeln. Nach der richtigen Energiequelle suchen wir noch.
Gibt es noch mehr Architekten in Afrika, die so denken wie Sie?
Kéré: Viele meiner Berufskollegen haben ihre Ausbildung in europäischen Ländern erhalten und sagen, sie hätten nicht Architektur studiert, um Häuser aus Lehm zu bauen. Das ist für viele keine Architektur und gilt ihnen als rückständig. Mein Wunsch wäre, dass dieses Projekt mit dazu beiträgt, sich von dem gedankenlosen Kopieren westlichen Bauens zu verabschieden. Leider ist es in Afrika nach wie vor modern, so zu bauen wie in Europa. Aber weder haben die Leute die Mittel dafür und kennen die geschichtlichen Hintergründe, noch werden die völlig anderen klimatischen Verhältnisse berücksichtigt.
Bei so viel fataler Europagläubigkeit kommt doch die europäische Auszeichnung für Ihre nachhaltige Architektur wie gerufen. Der Preis würdigt Ihre Art zu bauen und setzt ein anderes Zeichen.
Kéré: Nun, was soll ich dazu sagen. Es wird trotzdem noch sehr lange dauern bis sich ein anderes Denken beginnt durchzusetzen.
Das Gespräch führte Sybille Nitsche.
Quelle: Der Tagesspiegel vom 28.04.2010