Erster Teil aus der Reihe „Der Afrikanische Blick“ (Beitrag aus 3Sat Kulturzeit vom 11.5.2010)
Der Regissuer Christoph Schlingensief hat im Rahmen seines Operndorf-Projekts in Burkina Faso eine Gruppe junger Künstler gecastet, mit denen er das Stück „Via Intolleranza II“ in Brüssel, Hamburg und München auf die Bühne bringen will. Die Künstler reisen gemeinsam nach Deutschland, leben und arbeiten hier für die Dauer der Produktion zusammen. Für Kulturzeit begleitet der junge Journalist Lionel Some die Truppe.
In Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, befindet sich die Tanzschule von Irène Tassembedo. 150 Künstler sind zum Casting für Christoph Schlingensiefs Theaterproduktion „Via Intolleranza II“ gekommen. Nur acht von ihnen werden ausgewählt. Die Premiere findet schon in wenigen Wochen in Brüssel statt. Jeder hier will ein Ticket nach Europa.
Die Sängerin Kandy Guira hat es geschafft. „Ich war zufällig im französischen Kulturzentrum und ein Künstler dort wollte zum Casting“, sagt sie. „Er sagte zu mir: ‚Komm doch auch mit.'“ Kandy tritt regelmäßig in einer bekannten Bar auf, singt für Einheimische und für die die wenigen Touristen in Ouagadougou. Auch der Forscher und Musiker Jean Marie Gomzoubou Boncoungou, dessen Künstlername Chercheur ist, darf mit nach Europa. „Durch das Engagement mit Schlingensief werde ich viel Geld verdienen“, sagt er. „So werde ich hier ein besseres Leben führen können. Wenn ich aus Deutschland zurück komme, werde ich auch mehr respektiert werden. Der Vertrag ist ein Glücksfall für mich. Ich hatte bisher noch nie so viel Geld.“
Issouf Kienou hat keine Geldsorgen. Der Sänger kann von seinen Gagen gut leben. „Mich interessiert an diesem Projekt nicht das Geld“, sagt er. „Für mich zählt der kulturelle Austausch, die künstlerische Erfahrung, die ich mit diesen deutschen Weißen sammeln werde.“ Mit nur einem Auftritt verdient er in seiner Heimat zwei Millionen CFA Franc, das sind umgerechnet 3000 Euro. Davon können die meisten Künstler hier nur träumen.
Viel Talent, wenig Bühnenerfahrung
Der Tänzer Ahmed ist 27 Jahre alt. In Europa hätte er womöglich beruflich bessere Chancen. Aber er lebt in Burkina Faso, seine Familie und Freunde sind ihm wichtiger. „Ich habe zeitgenössischen Tanz in Montpellier studiert“, so Ahmed. „Dadurch habe ich viel Selbstbewusstsein gewonnen. Die anderen Bewerber haben mir keine Angst gemacht. Im Gegenteil: Sie sind wie eine Droge für mich, haben mich angetrieben, mich selbst zu verwirklichen.“ Der Komiker Amado Komi ist zwei Jahre älter, aber lange nicht so selbstbewusst wie Ahmed. Er hat zwar viel Talent, aber kaum Bühnenerfahrung. „Als ich ankam, dachte ich, das ist nicht mein Ding“, sagt Amado. „Ich fühlte mich fehl am Platz und sehr klein. Ich dachte mir nur: Zieh‘ das Casting jetzt durch und dann gehe wieder.“ Eine Fehleinschätzung, denn auch der kleinwüchsige Amado ist mit von der Partie.
Einige Tage vor dem Abflug nach Deutschland bekommen die acht Gewinner des Castings ihr Flugticket und ihr Visum. Es ist nicht leicht für Burkiner, eine Einreisegenehmigung nach Europa zu bekommen. Für die meisten ist es unmöglich. „Alle, die hier mitmachen, sind große Künstler“, sagt der Tänzer Ahmed Soura. „Ich habe nur eine vage Vorstellung von dem, was uns erwartet. Aber es ist eine großartige Truppe für die Produktion.“ Zwei Tage später soll es dann endlich losgehent. Alle sind gekommen, doch am Flughafen in Ouagadougou darf kein Flugzeug starten. In Europa sind alle Flughäfen gesperrt – wegen des Vulkanausbruchs auf Island. Warten ist angesagt. Noch weiß niemand, wann das Abenteuer Europa endlich losgeht.
Quelle: Lionel Some für Kulturzeit, 3sat Kulturzeit vom 11.5.2010