Christoph Schlingensief inszeniert in Hamburg das Scheitern seiner hochfliegenden Operndorf-Pläne in Burkina Faso. Fazit: Das „bessere Beyreuth“ gibts nur mit Raushalten.
VON MAXIMILIAN PROBST
Der Festivalsommer beginnt und Christoph Schlingensief ist einer seiner Stars. Mit einer Truppe afrikanischer Schauspieler will er auf sein Operndorf-Projekt in Remdoogo in Burkina Faso hinweisen und ist damit vielfach eingeladen. Doch klipp und klar lässt sich nur eins sagen, nachdem das Stück „Via Intolleranza II“ auf Kampagel in Hamburg über die Bühne gerauscht ist: Der Theatermacher zeigt sein Scheitern in Afrika.
Ein globales Kunstprojekt sollte das Operndorf werden, ein besseres Bayreuth, das geheilt ist vom Wahn des Gesamtkunstwerks, die Kunst vom grünen Hügel holt und mitten im Leben ansiedelt. Schulen, Sportplätze, Büros, Werkstätten, Siedlungen, Krankenstationen und Agrarflächen sind da nicht minder wichtig als das Festspielhaus, die Theaterbühne und Musikräume. Seit Januar 2010 wächst diese Utopie bereits in traditioneller, aber ökologisch höchst moderner Lehmbauweise in der Nähe der Hauptstadt von Burkina Faso. Und nun, aus der Traum?
Gescheitert, und darin besteht die Pointe des Abends, ist Schlingensief allerdings nur mit SEINEM Operndorf – was die Voraussetzung dafür ist, dass das Operndorf als Operndorf der Burkiner gelingen kann. „Raus aus Afrika“ lautet nun Schlingensiefs Parole, an sich selbst und all die adressiert, die meinen, Afrika helfen zu müssen, und sich nicht mal selbst helfen können. Auch wenn diese Kritik an NGOs, Gutmenschen und staatlichen Entwicklungshelfern nicht ganz neu ist, so muss man Schlingensief zugute halten, dass er sie am Scheitern seines eigenen Projekts aufs Glänzendste zu Kunst ummünzt und uns zur Erfahrung werden lässt.
„Via Intolleranza II“ ist wie das Leben selbst: in seiner Fülle ein Strich durch alle Rechnungen der Besserwisserei. Für den Zuschauer folgt daraus die Zumutung, nur in Bruchstücken zu verstehen, was da auf der Bühne los ist. Als Gerüst des Stückes dienst Luigi Nonos Oper „Intolleranza 1960“, eine gradlinige Anklage gegen Rassismus und staatliche Repression, aber die von Schlingensief gecasteten burkinischen Schauspieler und Sänger haben mal eben den Text umgeschrieben und stellen lieber sich selbst dar oder das, was wir dafür halten. Dazu flimmern Filmaufnahmen aus Burkina Faso und ein Schwarz-Weiß-Streifen nach Dantes „Göttlicher Komödie“ auf Vorhängen, die fortwährend auf und zu gezogen werden vor einem permanent in Bewegung begriffenen Bühnenbild aus Papphütten, Bier- und Schreibtischen, einem kleinen Salonorchester und einem großen gläsernen Käfig.
Vieles der Show, die nach Hamburg noch bei den Festwochen Wien und in der Bayrischen Staatsoper Station macht, erscheint dabei improvisiert, anderes wieder erstaunlich sauber komponiert. Der Glaskäfig zum Beispiel. In dem werden immer wieder die europäischen Projektionen auf Afrika ausgestellt. Auf Kampnagel geht das Stück auf Hamburg ein, in dem es auf die Verstrickungen von Hagenbecks Tierpark in den Kolonialismus anspielt, in München oder Wien könnte diese Episode gar nicht funktionieren.
Zum Schluss hängt dann im Käfig eine ausgediente Maske aus Pappmaché. Da erst fällt auf, das diese Maske die Form von Afrika hat, allerdings, so will man aus eurozentrischer Sicht sagen, eines Afrikas, das auf dem Kopf steht, mit der Spitze nach oben. Selbst hier noch europäischen Blick zu entlarven, das ist schon spitze und verdient, was Schlingensief für Afrika und das Operndorf-Projekt in Burkina Faso fordert: sich raushalten. Mit einem Blankoscheck.
Quelle: taz vom 25.5.2010