Schlingensief verarbeitet das Scheitern an seinem europäischen Gutmenschentum in einer rasanten Szenencollage. In Burkina Faso baut der deutsche Künstler seit Jänner das Operndorf „Remdoogo“.
Von ALMUTH SPIEGLER
Draußen wütete Samstagabend der Sturm. Drinnen wütete Christoph Schlingensief. Besser, er ließ wüten. Auf der Probebühne des Burgtheaters im Arsenal setzte er seine Verzweiflung an dem Herzensprojekt in Szene, das ihn während seiner Krebserkrankung in den vergangenen Jahren alle verfügbaren Kräfte gekostet hat. In Ouagadougou in Burkina Faso baut der deutsche Künstler seit Jänner das Operndorf „Remdoogo“. Ein Musiktheater mit Krankenstation, Schule, Restaurant, Archiv. Sponsoren, Medien, Politik – alle hatte Schlingensief für dieses „globale Kunstprojekt“ auf seiner Seite, alle waren begeistert vom Engagement des todkranken Starkünstlers – und dessen populistisch auszubeutendem Potenzial.
Dem gegenüber steht künstlerisch die Erfahrung sozialer Interventionskunst wie „Wochenklausur“ seit den Neunzigern und praktisch die Erfahrung der Entwicklungshilfe. Denn so einfach „da runter düsen“ (Schlingensief), die (europäische) Oper neu beleben und dabei den Armen helfen, geht nicht. Das Scheitern an seinen Ansprüchen machte Schlingensief nun zum Inhalt der szenischen Collage „Via Intolleranza II“.
Im Frühjahr im neuen Operndorf mit zwölf Schauspielern, Tänzern und Musikern aus Burkina Faso und Europa erarbeitet und im Mai in Brüssel uraufgeführt, wurde das Stück in letzter Minute zu den Festwochen eingeladen. Was Schlingensief dem Intendanten Luc Bondy mit einer Schmährede, vorgelesen von einer Schauspielerin gleich am Beginn, dankte: Wochenlang habe er am Boden vor der Hotelsuite Bondys gelegen und gebeten, dass dieser seine Gäste aus Burkina Faso begrüße: „Aber auch das lässt er von anderen machen.“ Ähnlich stößt Schlingensief im Lauf der kommenden zwei Stunden noch viele, nicht zuletzt sich selbst vor den Kopf – „Die wunderbaren Schmerztabletten, sie lösen einem die Zunge.“
In einer wie gewohnt alle Sinne überfordernden Show überfordert Schlingensief das Publikum: Assoziativ angelehnt an Luigi Nonos Migranten-Oper „Intolleranza 1960“ wird in zehn Kapiteln voll Videoprojektionen, Zitaten, Musik (Fönix-Trio, Rap, Wagner, deutsche und afrikanische Volksmusik), Tanz und Laienperformance eine Art Kreuzweg des Künstlers geschildert – wie er, Parade-Europäer, Parade-Deutscher, Parade-Kolonialist, Parade-Künstler, Parade-Gutmensch, ignorant, aggressiv, klischeebeladen, egozentrisch mit der fremden Kultur umgeht. Wie die Künstler aus Burkina Faso sich davon wenig beeindrucken lassen. Wie diese Nonos Oper vereinnahmen. Wie neben ihnen alle rührigen Europäer peinlich wirken. Ein scheinbar krankes Kind etwa wird offensiv bemuttert – dabei ist es ein Kleinwüchsiger, der dringend eine Frau sucht, wie er dem Publikum mitteilt.
Aufforderung zum Mitklatschen
Trotz mancher Klischees, die nicht immer unterlaufen werden, fordert Schlingensief sein Publikum zu Misstrauen heraus – gegenüber dem, was es sieht und was von ihm verlangt wird (mitklatschen). Zum Schluss gesteht der Künstler sein Scheitern ein.
Seiner Liebeserklärung – „Ich will nicht wieder so eine Scheiß-Kunstaktion machen.“ – folgt die Aufnahme in den Zug der Unverstandenen. Stefan Kolosko, der Schlingensief während des Stücks energiegeladen vertreten hat, tritt ab, Schlingensief erstmals „leibhaftig“ auf, als Videoprojektion: Drei Minuten hat das spürbare Warten des Publikums auf seinen Star ein Ende, wird es ehrfürchtig in der Halle. „Ich will Geld geben, ohne etwas dafür zu bekommen“, bleibt ihm als Einsicht seiner zerstörten Illusionen über die „Entwicklungshilfe“ einer europäischen Gesellschaft, die sich nicht einmal selbst helfen könne. Der Spendenbeutel, der dann herumging, blieb mehr mahnendes Requisit als echte Aufforderung.
Quelle: Die Presse, Print-Ausgabe, 14.06.2010