Ein Reifrock macht noch keinen Sommer

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In Berlin inszeniert Katharina Wagner, die Urenkelin von Richard Wagner, zum ersten Mal eine italienische Oper. Lesen Sie Auszüge aus einem Interview mit der Netzzeitung (15.12.05) – über die Aktualität von Puccini, hartnäckige Klischees und neue Ideen für die Bayreuther Festspiele.

Netzeitung: Sie führen erstmals bei einer italienischen Oper Regie. Wollen Sie sich mit Giacomo Puccinis «Trittico» von dem hohen Erwartungsdruck befreien, der bei Wagner-Aufführungen auf Ihnen lastet?

Katharina Wagner: Die Erwartungen an meine Person sind wohl immer sehr hoch. Ich nehme jede Inszenierung gleichermaßen ernst, egal, ob ich Wagner oder wie jetzt Puccini auf die Bühne bringe.

Netzeitung: Dennoch dürfte die Aufmerksamkeit am größten sein, wenn bei Ihnen Wagner auf dem Programm steht…

Wagner: Das stimmt sicherlich, allein schon deshalb, weil es bereits viele Inszenierungen von Wagner-Opern gibt, die extreme Maßstäbe gesetzt haben. Man kann völlig andere Vergleiche als beim «Trittico» ziehen. Dadurch steht man als Regisseur natürlich auch mehr unter Druck.

Netzeitung: Ihre bisherigen Arbeiten sind in der Öffentlichkeit ziemlich kontrovers diskutiert worden. Wie gehen Sie damit um?

Wagner: Ich unterscheide zwischen Kritik, die sich auf das Stück bezieht, und Kritik, die sich vor allem gegen meine Person richtet. Wenn jemand unvoreingenommen über die Inszenierung schreibt, finde ich das in Ordnung. Kritiker, die auf ein Niveau unterhalb der Gürtellinie zielen und mich nur herunterschreiben wollen, nehme ich dagegen nicht ernst. Dass Regiearbeit vom Publikum kontrovers aufgenommen wird, finde ich in jedem Fall wichtig. Es darf nicht passieren, dass Leute sofort nach der Aufführung denken: «So, und jetzt muss ich meine Steuererklärung machen.» Das ist das Schlimmste, was passieren kann.

Netzeitung: Wie reagiert Ihr Vater auf Ihre Arbeiten?

Wagner: Er hält sich grundsätzlich zurück, allerdings nicht nur bei mir, sondern auch bei anderen Regisseuren. Das ist wahrscheinlich der beste Weg, denn so werde ich weder verunsichert noch zu sehr bestärkt.

Netzeitung: Stört es Sie, ständig gefragt zu werden, ob Sie die Nachfolge von Wolfgang Wagner auf dem Grünen Hügel antreten wollen?

Wagner: Diese Frage kann ich niemandem verdenken. Allerdings ist sie zum jetzigen Zeitpunkt völlig müßig. Meinem Vater geht es gut und er möchte so lange weitermachen, wie er sich geistig und körperlich dazu in der Lage fühlt. Mich wundert es, über welch einen langen Zeitraum nun schon über die Nachfolge in Bayreuth spekuliert wird. Es wird erst dann eine Entscheidung geben, wenn sie tatsächlich getroffen werden muss.

Netzeitung: Können sich denn generell auch eine Frau als Festspiel-Chefin vorstellen?

Wagner: Sicher, es geht hier weniger um die Frage, ob Mann oder Frau, sondern um die Qualifikation, die diese Person mitzubringen hat.

Netzeitung: Die Öffentlichkeit scheint mit der Geschlechterfrage aber noch nicht so unbefangen umzugehen – wie vor kurzem noch das Beispiel von Angela Merkel gezeigt hat.

Wagner: In Bayreuth ist das ja nicht unbedingt etwas Neues, da gibt es bereits eine gewisse Tradition…

Netzeitung: Wie sollten sich die Festspiele Ihrer Ansicht nach weiterentwickeln?

Wagner: Wir müssen unterschiedliche Erwartungen des Publikums erfüllen und somit ein Gleichgewicht zwischen konservativen und progressiven Produktionen schaffen. Ein Teil des Publikums schätzt gewisse Regieexperimente nicht, auf der einen Seite wollen wir auch jüngere Leute ansprechen. Gerade deshalb ist es wichtig, dass die Oper entstaubt wird. Bereits im Schulunterricht sollten nicht mehr die gängigen Opern-Klischees bedient werden – nicht alle Sänger wiegen 120 Kilo und tragen Reifröcke. Und für den «Fliegenden Holländer» brauchen wir auf der Bühne nicht unbedingt ein Schiff.

Netzeitung: Welche Inszenierungen der vergangenen Jahre waren für Bayreuth besonders richtungsweisend?

Wagner: Das ist schwierig zu beurteilen, wenn man so nah dran sitzt. Christoph Schlingensief hat beispielsweise mit seinem «Parsifal» ganz neue Maßstäbe angelegt. Aus der Rückschau kann man ganz sicher sagen: Richtungsweisend waren der «Jahrhundert-Ring» von Patrice Chéreau und der «Fliegende Holländer» von Kupfer. Ob sich neue Ansätze wie die von Schlingensief längerfristig durchsetzen, weiß ich nicht. Die permanente Reizüberflutung durch die vielen Bilder in seinen Inszenierungen fordert nicht nur das Publikum. Auch die Konzentration der Sänger wird stark beansprucht. Immerhin ist es Schlingensief wohl mit Abstand am besten gelungen, die Leute daran zu hindern, nach der Vorstellung einfach abzuschalten.