LIEBESERKLÄRUNG AN EINEN BEZIRK (BZ)

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Die Berlin Kreuzberg Biennale füllt die Zwischenräume im Kiez und lädt zur Entdeckungsreise

von Michael Lutz

In diesen heißen Tagen ist Grillen der Hit. Aber wer würde vermuten, dass es in ganz Kreuzberg nur drei von der Stadt ausgewiesene Grillplätze gibt? Natürlich hängt trotzdem über jedem Park ein rauchiger Dunst, und Polizei und Ordnungsamt handhaben die Regelung zum Glück sehr lax. Doch als Marc Le Blanc und James Krone im Rahmen der Berlin Kreuzberg Biennale zu ihrer Performance „Bacchus Apotheke“ einluden, wurde in einer Größenordnung gegrillt, die die Polizei nicht mehr ignorieren konnte. Am Abend des 3. Juli trafen sich am Landwehrkanal eine Handvoll Interessierte und staunten nicht schlecht, als sie Krone und Le Blanc im Begriff sahen, mit einem kurbelbetriebenen Grillspieß ein ganzes Lamm am Stück zu grillen. Ob das Eingreifen der Beamten ein Teil der Show war?

Das liegt ganz im Auge des Betrachters. Denn die Kunst in den oft subtil platzierten Exponaten im Stadtraum und den verrückten Aktionen der Berlin Kreuzberg Biennale steckt manchmal in der Idee selbst. Jedenfalls gelang es den Beamten nicht, die Versammlung aufzulösen: Le Blanc und Krone packten ihren halbgaren Braten einfach zu beiden Enden der Grillstange und trugen ihn in die nahegelege Hasenheide, wo sich das kuriose Projekt fortsetzte.

Ein anderes Beispiel für den informellen Geist der Ausstellung ist die von Raul Walch erdachte „Corner Bar“, Ecke Oranien- und Adalbertstraße. Jeden Abend, gutes Wetter vorausgesetzt, improvisieren Walch und seine Freunde eine Bar unter freiem Himmel. Das Irritierende daran: Die Bar ist als solche schwer zu erkennen, denn es handelt sich um einen stinknormalen Stromverteilerkasten. Erst durch Walchs aktive Umdeutung wird das Objekt zum Artefakt und beginnt auf seltsam subtile Weise zu wirken. Ein schneller Eingriff im Vorbeigehen, eine subversive Betrachtung der Gegebenheiten, damit wollen die Macher der Schau den Großstadtbewohnern eine Ahnung von der Mehrdimensionalität ihrer Umgebung geben.

Der Künstler Tjorg Douglas Beer, Jahrgang 1973, der zusammen mit der Kuratorin Anna-Catharina Gebbers die Berlin Kreuzberg Biennale ganz ohne Budget organisiert, fördert schon lange die Kunst im Viertel. Im Jahr 2008 etwa war er Mitgründer der im Graefe-Kiez gelegenen Forgotten Bar, in der eine Zeit lang allabendlich andere Ausstellungen zu sehen waren und die als das gemeinsame Liebhaber-Projekt eines großen Netzwerks von Künstlern und Kreativen des Viertels gilt.

Auch die Berlin Kreuzberg Biennale ist so eine Herzensangelegenheit. Wenn man Beer darüber reden hört, klingt das beinahe wie eine Liebeserklärung an seinen Bezirk: „Die kulturelle Reichhaltigkeit, die starken gesellschaftlichen Strukturen und die Tatsache, dass Kreuzberg voll von verschiedenen Realitäten ist, haben zu diesem lokalen Projekt geführt. Im Grunde also genau die Dinge, die diesen Stadtteil so lebenswert machen.“ Mit der Bezeichnung „Biennale“ wollten sich die Macher nicht in Konkurrenz zur parallel in Kreuzberg stattfindenden Berlin Biennale stellen. Vielmehr habe man sich dafür entschieden, um sich die Möglichkeit einer Fortsetzung offen zu halten, aber auch, um dem großen Umfang und der hohen Qualität der Ausstellung gerecht zu werden. Denn dass es sich hierbei um ein durchaus ernstzunehmendes Format handelt, zeigt allein schon die Künstlerliste: Neben vielen anderen sind Terence Koh, Marc Bijl, Olaf Metzel oder Christian Jankowski mit Arbeiten vertreten.

Die erste Ausgabe der Berlin Kreuzberg Biennale heißt „Ayran und Yoga“, was viel Raum für Ausdeutung lässt: „Es könnten zum Beispiel die Namen von zwei kleinen Jungs sein, die sich nach der Schule auf eine Entdeckungsreise durchs Viertel begeben,“ erklärt Beer. Und in der Tat sind oft ein gewisser Spürsinn und gesunde Neugier vonnöten, um die sensiblen Eingriffe aufzuspüren, die die Künstler zwischen Oranienplatz und Urbanstraße hinterlassen haben. Viele der über vierzig Arbeiten wurden in halböffentlichen Räumen und an unscheinbaren Plätzen platziert – auf Hinterhöfen, in Kiosken und Geschäften, an Wänden, Mülleimern oder auf wenig beachteten Grünflächen.

Zum Beispiel „10 Animal Films“ von Christoph Schlingensief, eine von Anna-Catharina Gebbers kuratierte Sammlung bizarrer Tierfilme: Im Ladengeschäft von „Aquarien Meyer“ sind sie auf einem kleinen Fernseher zu sehen. Dort laufen sie den ganzen Tag und wirken ein bisschen wie das fehlende Element zwischen all dem Haustierzubehör, das es dort zu kaufen gibt. Denn die zehn kurzen Clips in dieser Umgebung zu sehen, bedeutet auch, die geradezu skulpturale Qualität all der Behälter, Tierschädel und Terrariendekorationen zu erkennen.

Ein paar Schritte weiter, im Kopierladen „Trigger Copy“, steht man vor einem über und über mit Zetteln behefteten Schwarzen Brett, zunächst nichts Untypisches für einen solchen Ort. Dass aber Malte Urbschat in seinem „Sheriff-Project“ die Kommunikationsfläche für die Ergebnisse einer Recherche über nicht-tödliche Waffen und Verschwörungstheorien benutzt, übersteigert nicht nur die dem Ort immanente Ästhetik, sondern auch seinen ursprünglichen Sinn. Hier hinterlassen sonst Menschen ihre Nachrichten, Anliegen oder Bedenken.

Die Aussteller selbst sind übrigens froh, bei der Berlin Kreuzberg Biennale mitwirken zu können. Keinen von ihnen musste Beer zweimal fragen, was kaum verwundert, schließlich kennt und schätzt man sich in einer Nachbarschaft wie dieser. In der Buchhandlung „Argument“ ist das Werk „Turbokapitalismus“ von Olaf Metzel zu sehen, eine Miniskulptur aus alten Zigarrenhülsen mit der Aufschrift „Independence“, mit Klebeband zu einem Dynamitbündel arrangiert. „Das hier ist eine linke Buchhandlung, und die Berlin Kreuzberg Biennale ist ein selbstfinanziertes Projekt“, sagt Besitzer Klaus Gramlich. „Selbstverständlich wird das unterstützt. So ist das in Kreuzberg.“

Verlängert bis Ende August. Programm und Orte unter www.berlin-kreuzberg-biennale.org. Führungen unter 0178-294 26 75.

Quelle: Berliner Zeitung, 20. Juli 2010