Christoph Schlingensiefs Vermächtnis lebt. Eindrücke eines Besuchs im afrikanischen Operndorf in Burkina Faso
Text und Fotos von RAINER KOTZ
Erst seit der ehemalige Finanzminister Steinbrück den Namen Ouagadougou in sein Vokabular aufnahm, wissen viele, dass es sich dabei nicht um eine afrikanische Landessprache, sondern um die Hauptstadt des westafrikanischen Binnenstaates Burkina Faso handelt. Und erst seit der verstorbene Theaterregisseur Christoph Schlingensief verkündet hat, dass er dort ein Operndorf mit Opernhaus errichten will, ist dieses Land mehr in den Blick der Öffentlichkeit getreten. Dass es sich bei diesem im Sub-Sahel-Gebiet gelegenen Staat um ein Land mit absoluter Hungersnot handelt, war Schlingensief wohl bekannt. Aber er erkannte auch die Kreativität und Lebensfreude der als Burkinabé bezeichneten Einwohner.
Schlingensief hat in seinem Todeskampf an dem mutigen Projekt festgehalten, überzeugt, der Welt und den Menschen dort ein Vermächtnis des Überlebens zu hinterlassen. Im August 2010 starb er an Krebs; er und sein Lebenswerk leben auch in Burkina Faso weiter in der hierfür gegründeten Festspielhaus Afrika gemeinnützigen GmbH unter der Leitung seiner Ehefrau Aino Laberenz und unter der Schirmherrschaft des Alt-Bundespräsidenten Horst Köhler sowie einem treuen Freundeskreis. Und mit einem genialen Architekten, dem Burkinabé Francis Kéré, einem Häuptlingssohn, ganz in der Nähe des Operndorfes geboren.
Rund eine Stunde braucht man für die 45 Kilometer, um von der Hauptstadt Ouagadougou Richtung Niger in das Savannengebiet um Ziniaré in unmittelbarer Nähe von fünf Dörfern zu gelangen. Ein wahres Abenteuer, denn wer kennt schon in Burkina Faso das Projekt Operndorf? Aber der „Rastaman“ auf einem der belebten Plätze der Hauptstadt wusste davon und erklärte uns den Weg.
Umgeben von hunderten Mofas, Fahrrädern, altertümlichen Autos und überladenen Kleinlastern machten wir uns auf die Suche, mitten im afrikanischen Winter mit über 30 Grad Celsius und wolkenfreiem Himmel. Die Infrastruktur in dieser rohstoffarmen Präsidialrepublik verbessert sich – gemessen am neuen Bau der Überlandstraßen – zusehends. Was bewog Schlingensief und Kéré, in dieser Steppe ein Festspielhaus zu bauen?
Vorbei an dem seit 20 Jahren bestehenden international renommierten Skulpturenpark „Cité dé Laongo“, in dem sich alle drei Jahre 20 angesehene Bildhauer verwirklichen dürfen, führt eine roterdige Steppenpiste zu den Gebäuden des ersten Bauabschnitts. Was als erstes auffällt, ist die satte rote Farbe der Bausteine in feiner Kombination zum roten Boden. Und die lebendige, frisch und fröhlich wirkende Architektur Francis Kérés, umgeben von deutschen Containern mit Bau- und Hilfsstoffen. Auffällig sind die sich einfügenden Doppeldächer, die die extreme Hitze im Innern deutlich reduzieren. Erkennbar ist bereits jetzt die schneckenförmige Form des „Operndorfes“ mit den bereits fertigen Gebäuden Schule, Werkstätten, Lehrerhäuser, Räumen für die Administration und die Küche mit Essensräumen.
Im angrenzenden Tal soll die Krankenstation entstehen. Daneben sind ein Gästehaus, ein Sportplatz und ein Restaurationsbetrieb geplant. Zentraler Mittelpunkt ist das mit rot-weißen Begrenzungspfählen abgesteckte Opernhaus, welches Platz für 500 Personen bieten soll.
Seit Oktober ist der Schulbetrieb in den beiden fertigen Schulgebäuden im Gange, für 25 Mädchen und 25 Jungen. Zur Schule gehen zu dürfen, und damit auch ein tägliches Essen gesichert zu wissen, ist für die Burkinabés ein Privileg. Nur etwa 35 Prozent der Jungen und 15 Prozent der Mädchen besitzen einen Schulabschluss. Deshalb ist diese Schule ein Segen, zumal Schlingensief Wert darauf legte, dass die Kinder eine musische Förderung durch Vermittlung von Tanz, Theater, Foto und Film erhalten. Die Kinder sind alle aus den Dörfern der Gegend. Und Singen, Tanzen und Schauspielen liegt den Burkinabés im Blut.
Ein schmales, aber gut gefülltes Gästebuch zeigt das internationale Interesse an dem Vorhaben. Das Projekt ist mehr als eine verrückte Idee für ein Opernhaus in Afrika europäischer Prägung. Schlingensiefs Vermächtnis währt über seinen Tod hinaus: Kunst und Leben sollen zusammengehen. Warum nicht auf dem Urkontinent der Weltgeschichte? Warum nicht nach afrikanischer Prägung, auch wenn hier manches langsamer, traditioneller, aber lebensfüllender geschieht?
Quelle: Südkurier vom 31.01.2012