SCHLINGENSIEFS OPERNDORF IST EIN ERBE, DAS VERPFLICHTET (HAMBURGER ABENDBLATT)

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Heute stellt Aino Laberenz im Rahmen der Thalia-Lessingtage das westafrikanische Kultur-Projekt ihres verstorbenen Mannes vor.

VON JOACHIM MISCHKE

Berlin. Seit dem Krebstod des Künstlers Christoph Schlingensief im August 2010 ist Aino Laberenz, 30, die treibende Kraft hinter seinem „Operndorf“ in Burkina Faso, einem „Gesamtkunstwerk, das afrikanische und europäische Kulturen verbinden“ soll. Wir trafen Laberenz, die 2005 von „Theater heute“ als „Beste Nachwuchs-Kostümbildnerin“ geehrt wurde, in Berlin.

Hamburger Abendblatt: Es gibt ein Lessing-Zitat, das bestens passt: „Nur die Sache ist vertan, die man aufgibt.“ Nach Aufgabe sieht Ihr Projekt aber nun wirklich nicht aus.

Aino Laberenz: Überhaupt nicht. Als Christoph gestorben war und ich sehr schnell klären musste, wie es weitergehen kann, habe ich die Geschäftsführung angetreten. Diese Verantwortung zu übernehmen, Strukturen zu schaffen und nicht aufzugeben – das war neu für mich. Nach Christophs Tod gab es einen Baustopp, dann haben wir Firmen ausgesucht, uns um die Auflagen gekümmert und im letzten Februar den Bau wieder aufgenommen.

Der erste Bauabschnitt ist vollendet. Der zweite soll in diesem Jahr begonnen werden, im dritten soll das Opernhaus entstehen. Wie groß ist der Finanzbedarf?

Laberenz: Die laufenden Kosten sind momentan relativ gering. Wir tragen den Lohn der drei Lehrer und die Versorgung der Kinder. Das wird steigen, wenn wir eine Krankenstation unterhalten. Für 2012 und 2013 können wir die laufenden Kosten bezahlen.

Die ersten vier Wörter, die mir zum Operndorf in den Sinn kamen, waren: romantisch, heroisch, naiv und verrückt.

Laberenz: Romantisch ist es nicht, dafür ist das Projekt viel zu real. Heroisch? Kann ich nicht sagen. Verrückt? Ich bin pragmatischer als Christoph. Und die Vision hat sich in eine ganz andere Realität entwickelt, da kann man nicht allzu verrückt sein. Naiv? Also ich bin es nicht. Das Operndorf wäre heute auch nicht da, wo es schon ist, wäre ich das naiv angegangen.

In „Emilia Galotti“ steht ein Satz, der zu Schlingensiefs Operndorf-Devise „Macht mit unserem Geld, was ihr wollt“ passt: „Tu, was du nicht lassen kannst.“

Laberenz: Mein Wunsch für dieses Projekt ist, dass es autonom wächst. Dass es sich – wie Christoph einmal sagte – wie ein Organismus verhält.

Was können wir in Westeuopa von dieser Idee, die für ein Land in Westafrika entstand, mitnehmen?

Laberenz: Mich interessiert die Begegnung auf Augenhöhe sehr, ohne Perspektive von oben herab. Das Land ist wirklich arm, und trotzdem gibt es dort eine große Kulturlandschaft und großes Selbstbewusstsein. Christoph hat es geschafft, sich sehr auf die Menschen und die Gegebenheiten einzulassen.

Ein Operndorf könnten Sie, ganz banal gesagt, ja auch in Sachsen-Anhalt aufbauen. Wäre das zu nah? Zu einfach?

Laberenz: Ich könnte jetzt antworten, dass Christoph zu Sachsen-Anhalt nicht wirklich einen kreativen Zugang hatte. Afrika war für ihn immer auch ein Kontinent, zu dem er eine klare Bindung hatte. Über Deutschland hat er gesagt: „Mir brechen hier die Antennen ab. Hier wird man permanent mit Meinungen und Haltungen zugeballert, man kann sich kaum noch öffnen.“

Fühlen Sie sich durch das Operndorf älter, als Sie sind? Müssen Sie reifer sein?

Laberenz: Ja, ich denke schon. Da spielt natürlich auch der Tod eine große Rolle. Ich bin mit noch nicht einmal 30 Witwe geworden. Ich verstehe mich mit den alten Damen auf dem Friedhof und bin dann auch eine 80-Jährige. Die Dinge verschieben sich.

Ist das Operndorf für Sie eine Lebensaufgabe?

Laberenz: Ich weiß, dass es noch lange Zeit braucht, und ich werde es auch nie verlieren. Und wenn ich irgendwann sehe, es ist eigenständig, ist das großartig.

Wie sieht Ihr eigener Zukunftsplan aus?

Laberenz (lacht): Den hab ich nicht. Christoph hat mir immer sehr viel mehr vertraut als ich mir selber. Ohne ihn ist es jetzt an mir, das zu tun. In Projekten geht das ganz gut, weil es dann nicht immer nur um den eigenen Schmerz geht. Da öffnen sich andere Türen.

Wie gehen Sie damit um, von vielen nur als „die Witwe von“ gesehen zu werden?

Laberenz: Das ist sehr schwierig. Man wird sehr auf ein Wort reduziert und hat teilweise noch nicht mal einen eigenen Namen. Ich wüsste nicht, wie ich mich dagegen wehren soll. Es ist abstrus.

Fühlt sich das Operndorf für Sie wie „mein“ Projekt an oder ist es nach wie vor noch „seins“?

Laberenz: Es ist auf jeden Fall unser Projekt. Ich suche sehr gern in dem, was er gesagt hat. Diese Vision vom Operndorf ist für mich ganz konkret.

Operndorf Afrika: Zwischenstand
Heute 20 Uhr, Thalia Gaußstraße.
Mit Aino Laberenz, John Bock (Künstler), Harald Falckenberg (Sammler u. Mäzen), Matthias Lilienthal (HAU Berlin). Restkarten an der Abendkasse.

www.operndorf-afrika.com

Quelle: Hamburger Abendblatt vom 02.02.2012