Kryptisch, hektisch, radikal: Die Beiträge der Kurzfilmreihe Berlinale Shorts feiern das filmische Experiment – auch mit einem posthumen Werk von Christoph Schlingensief.
Von Johannes Schneider
Irgendwann ist das ein bisschen enervierend: wie man sich da in rudimentäre Handlungen hineinkonzentrieren muss. Wie Kameras beständig Protagonisten fixieren, von denen man überhaupt nicht weiß, was sie denn nun für den Film bedeuten. Die insgeheime Hoffnung, dass das Gezeigte doch irgendwie eine Erzählung ist, muss bei dieser Ausgabe der Berlinale Shorts besser früher als später begraben werden. 27 Kurzfilme sind an den ersten vier Festivaltagen in fünf Sektionen zu sehen (Cinemaxx 3 und 5). Sie machen Ernst mit der Hingabe an das filmische Experiment, an atmosphärische Tiefenanalysen und narrative Brüche, kurz: mit der Abkehr vom Geschichtenerzählen, die laut Kuratorin Maike Mia Höhne auch das Leitmotiv des diesjährigen Auftritts sein soll.
Dabei bleibt zu oft eine drängende Frage bestehen, die von einer produktiven Filmlektüre ablenkt: Was tun all diese Menschen? Warum sucht der13-jährige Protagonist in „Rafa“ des Portugiesen Joao Salaviza, alleine bei der Lissaboner Polizei nach seiner Mutter? Warum nehmen die Polizisten ihn in eine Art Kreuzverhör, und warum taucht plötzlich noch seine ältere Schwester mit ihrem Baby auf? Und wer sind die Männer, die im Beitrag „Yi chang ge ming zhong hai wei lai de ji ding yi de xing wei“ des Chinesen Sun Xun einen alten Mann aus seinem Unterschlupf auf einem Brachland vertreiben wollen? Kriminelle? Immobilienhaie? Und in welchem Verhältnis stehen sie zu der Sängerin aus dem Zirkus, die sich ständig auszieht?
Kryptische Erzählweisen, hektische Untertitelungen, semantische Unklarheiten, von denen man nicht weiß, ob sie filmisch gewollt oder dem Sprach- und Kulturtransfer geschuldet sind – es ist nicht ganz einfach, den Filmen zu folgen. Und es ist auch nicht ganz einfach, an ihnen ein gemeinsames Ganzes zu beschreiben. Denn natürlich gibt es unter ihnen auch welche, die dem Leitmotiv völlig zuwider laufen: die beiden koreanischen Beiträge etwa, die sich – beinahe unambitioniert– darauf beschränken, Figuren zu entwickeln, Geschichten zu erzählen, Konflikte aufzuzeigen. Wie da in Kim Souk-youngs „Mah-Chui“ ein ganz simpler Plot abgespult wird (Krankenschwester beobachtet Arzt bei der Vergewaltigung einer narkotisierten Patientin, will ihn anzeigen, gerät dabei in Konflikt mit ihren Kolleginnen, schließlich sogar mit dem Opfer selbst), das hat denkbar wenig etwa mit Christoph Schlingensiefs „Say Goodbye to the Story“ zu tun.
Dass just dieses Kurzfilmvermächtnis die anderen Wettbewerbsbeiträge, die konventionelleren ebenso wie die experimentellen, locker zu überstrahlen scheint, lässt sich derweil auf eine Fülle von Gründen zurückführen. Nicht nur, dass Schlingensief als Titelgeber der diesjährigen Shorts ein Thema ausfüllen darf, das er, in gewisser Weise, selbst gesetzt hat. Nicht nur, dass das von Schlingensief angerichtete Wahrnehmungschaos gegenüber denen von anderen Kontinenten seltsam vertraut wirkt. Schlingensiefs Film tänzelt, indem er das Entstehen zweier Filmszenen mit all den üblichen Wiederholungen, Regieanweisungen, Pannen und Abschweifungen offenlegt, überzeichnet und mit Musik einwagnert, einmal mehr mühelos zwischen filmischer Aktion, ihrer Ironisierung und Dekonstruktion. Dabei beinhaltet er etwas, das den oft bleiernen Beiträgen von indischen Müllkippen, aus chinesischen Abbruchgebieten und dem lateinamerikanischen Hinterland – vielleicht zu Recht, vielleicht zu oft – abgeht: Komik.
So lässt sich denn auch das Unbehagen an dieser Auswahl auf die Abwesenheit der zwei großen H zurückführen: Handlung und Humor. Zwischen Experimenten, die etwa im Fall der flackernden Farbstreifen von Billy Roisz’ Animationsfilm „Zounk!“ schwerlich noch Film zu nennen sind, verliert das Kino seine Mitteilsamkeit. Dabei gäbe es doch noch so viel zu berichten. Und sei es nur – Schlingensief hat vorgemacht, wie es gehen kann – vom Ende der Geschichten.
Quelle: Der Tagesspiegel vom 10.02.2012