Die Versteigerung von über 80 Kunstwerken soll den Weiterbau von Christoph Schlingensiefs Operndorf im afrikanischen Burkina Faso garantieren. In der Auktion befinden sich viele Werke bekannter Künstler, die eines gemeinsam haben: Sie schätzen Schlingensiefs Vision.
Von Ingeborg Wiensowski
Sein letztes und wichtigstes Projekt und sein letzter großer Wille war das Operndorf Afrika. Ein „sozialer Klangkörper“ sollte es nach Christoph Schlingensiefs Worten werden, eine „soziale Plastik“, in der das Leben die Kunst ist.
Als Schlingensief am 21. August 2010 an Lungenkrebs starb, hatte er sein „Kraftzentrum“ im westafrikanischen Staat Burkina Faso, 30 Kilometer östlich der Hauptstadt Ouagadougou, schon angeschoben. Er hatte den Architekten Francis Kéré engagiert und mit ihm seine Träume und Ideen für eine Schule mit Film- und Musikklassen, für Werkstätten, ein paar Wohn- und Gästehäuser, für eine Siedlung, eine Kantine und ein Café, für Büros, einen Fußballplatz, eine Krankenstation und für ein Theater mit Bühne, Festsaal und Proberäumen in Plänen festgelegt. Und er hatte am 8. Februar 2010 den Grundstein für seine Vision eines afrikanischen Operndorfes gelegt.
Eine Schule für das Operndorf
Seine Frau Aino Laberenz hatte Schlingensief so tief in sein Projekt einbezogen, dass sie an seinem großem Lebenstraum weiterarbeiten kann. Und wie! Schon im Oktober 2011 wurden mit einem Fest zwei Schulgebäude, zwei Wohnhäuser für Lehrer und fünf Küchen- und Wirtschaftsgebäude auf den zur Verfügung stehenden fünf Hektar Land eingeweiht. Seitdem besuchen 25 Jungen und 25 Mädchen aus den umliegenden kleinen Dörfern die Schule, in der es auch Kunst-, Film- und Musikklassen gibt.
Jetzt steht der nächste Bauabschnitt an. Die Festspielhaus GmbH, der Laberenz vorsteht, will 2012 eine Krankenstation, eine große Solaranlage, Wohnhäuser für Krankenschwestern und Pfleger, Gästehäuser und Künstlerresidenzen realisieren. Auf rund 500.000 Euro werden sich die Kosten belaufen, und weil das Auswärtige Amt abgesprungen ist und nur noch vom Goethe-Institut öffentliche Mittel kommen, muss nun fast der gesamte Betrag durch private Spenden aufgebracht werden.
Kunst für die Finanzierung der „sozialen Plastik“
Wie das gehen kann, ist gerade im Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart in Berlin, zu besichtigen. Dort hängen und stehen nämlich in vier Räumen rund 80 zeitgenössische Kunstwerke – Gemälde, Fotografien Zeichnungen, Videos und einige Skulpturen -, die von Künstlern, von Galerien oder von privaten Förderern geschenkt wurden und die in der „Auktion 3000“ zugunsten des Operndorfs am 8. März öffentlich versteigert werden sollen. Geschätzter Wert: rund eine Million Euro.
Zu verdanken ist das der unermüdlichen Arbeit von Aino Laberenz, dem Team ihrer gemeinnützigen GmbH, vielen Freunden und Förderern Schlingensiefs und der Nationalgalerie, die die Ausstellung und die Auktion im Hamburger Bahnhof ermöglicht. Laberenz hat Kontakte zu Künstlerfreunden und Kollegen ihres gestorbenen Mannes geknüpft, ihr Anliegen zum Weiterbau des Operndorfes vorgetragen und um ein Werk für die Versteigerung gebeten. „Es war unglaublich schön, wie die Künstler auf meinen Anruf oder einen Brief reagiert haben, wie sehr sie Christoph geschätzt haben, wie liebevoll und begeistert sie über ihn und seine Arbeit sprechen und das Operndorf als sein Projekt unterstützen wollen“, sagt Laberenz.
Als sie zum Beispiel Matthew Barney anrief, dessen Telefonnummer sie im Mobiltelefon ihres Mannes gefunden hatte, sagte der sofort eine Arbeit zu. „Cremaster 3: Plumb Line“ heißt die wunderbare Fotoarbeit des Amerikaners im typischen Barney-Acrylrahmen, die gleich im ersten Raum hängt, auf 19.500 Euro geschätzt ist und mit Sicherheit bei der Auktion mehr einbringen wird.
Auch „Gasherd“, ein frühes Foto von Andreas Gursky, kommt direkt vom Künstler und wird sicherlich die geschätzte Summe von 25.000 Euro übersteigen. Bekannte Künstlernamen gibt es viele: Olafur Eliasson hat ein silbern reflektierendes Skateboard in einem Glaskasten gestiftet, vom Fotografen Thomas Struth kommt das Foto „Pacific Heights Place“ von 2006 für 10.000 Euro, und auf den gleichen Wert ist die Fotografie „Streetcorner in Butte, Montana“ von Wim Wenders geschätzt. Von Patti Smith, die noch kurz vor Schlingensiefs Tod in München zusammen mit ihm ausgestellt hatte, ist eine große MDF-Platte mit geschriebenen und gezeichneten Freundschaftsbezeugungen in der Auktion.
Wie sehr Schlingensief, seine Haltung und Arbeit von seinen Kollegen geschätzt wurde, zeigt die prominente Künstlerliste: Rebecca Horn, Marina Abramovic, Georg Baselitz, Gotthard Graubner, Hermann Nitsch, Günther Uecker oder Robert Wilson. Und es finden sich Namen junger Kollegen wie Keren Cytter, Martin Eder, John Bock, Monica Bonvicini, Eberhard Havekost, Nairy Baghramian oder Michael Sailstorfer. Auch ein Bühnenkostüm von Schlingensief kann man ersteigern, das er in seiner Burgtheater-Produktion „Bambiland“ selbst getragen hat.
Von Afrika lernen
Kein Zweifel, die Arbeit an Schlingensiefs Operndorf geht weiter, von der anfangs heftig geäußerten Skepsis ist kaum noch etwas zu hören. Und wer danach fragt, warum eine Krankenstation noch vor einem Festspielhaus zu einem Operndorf gehört, der muss sich nur mit Aino Laberenz unterhalten. „Von Afrika lernen“, das sei keine eingängige Parole, sagt sie und spricht wie Schlingensief von „den spirituellen und kulturellen Schätzen Afrikas“, die wir längst schon „verspielt haben“, von der Realität eines Krankenhauses, in dem ein Kind geboren, wo das soziale Umfeld im Auge behalten wird und Menschen aus der Gegend Arbeit finden. „Wir müssen die Kunst im Leben ansiedeln“, sagt Laberenz, dann könne die Trennung von Kunst und Leben aufgehoben werden.
Sie sei viel realistischer und pragmatischer als ihr Mann, sagt sie. Aber wenn sie von ihren Besuchen bei den zwei benachbarten Häuptlingen erzählt und den Ritualen, mit denen die beiden das Land befragten, ob das Operndorf willkommen sei, von der Respektierung ihres Wunsches, dass gleich viele Mädchen und Jungen in die Schule kommen sollten, von ihren Plänen, den Dorfplatz zu befestigen und vielleicht dort schon jetzt Filme zu zeigen oder Künstlern einen Platz für Aktionen zu geben, dann hört man die gleiche Begeisterung, mit der Schlingensief jeden überzeugen konnte.
Und man ist überzeugt, dass hier im ärmsten Land Afrikas Schlingensiefs Wunsch für alle wahr werden wird, nämlich „dass wir unsere Begriffe von Kultur, Kunst, Oper usw. neu aufladen“.
Auktion 3000 für das Operndorf am 8.3. um 20 Uhr in Berlin im Hamburger Bahnhof und im Internet. Besichtigung bis 4. März und unter der Website www.auktion3000.com
Quelle: SPIEGEL ONLINE vom 28.2.2012