Es ist ein Abend der gemischten Gefühle. Ein wenig traurig, auch lustig, ja, auf jeden Fall pathetisch. Irgendwie scheint er immer noch anwesend. Christoph Schlingensief hätte es ganz bestimmt gefallen.
Von Gabriela Walde
Denn es war vor allem sein Abend. Ganz besonders als Patti Smith in ihren offenen, schluffigen Meilenstiefeln und dem längst zur Marke gewordenen Fusselhaar im Hamburger Bahnhof zum Mikro greift und mit ihrer heilig-kratzigen Stimme ein Lied für ihren verstorbenen Freund anstimmt. „I am over the ocean… I am free“, singt sie. Bei so viel Himmel, so viel Liebe, so viel Zusammenhalt hatte mancher – zumindest kurz – mit den Tränen zu kämpfen angesichts des frühen Todes des 49-jährigen Regisseurs. Vor zwei Jahren starb er an Lungenkrebs.
Freunde, Gönner, Sammler
Nun versucht seine Witwe, Aino, wie alle vertraut das mädchenhafte, durchscheinende Wesen nennen, sein letztes größtes Projekt zu vollenden: das afrikanische Operndorf in der Nähe der Hauptstadt von Burkina Faso. Die Schule ist eröffnet, nun soll eine Krankenstation folgen, als Krönung später einmal die große Bühne. Das ist Vermächtnis und Last zugleich. Schließlich war Schlingensief stets Dreh- und Angelpunkt der eigenen Arbeit, und ohne den charismatischen Kunst-Schamanen ist es schwer, die Mitte dieses Projektes zu halten. Geld ist sehr hilfreich, doch ein ganzes Dorf von Europa aus am Laufen zu halten, ist nicht ganz so einfach. Das braucht volle Leistung – und Ideale.
Dabei hat Aino Laberenz freilich ein tolles Unterstützerteam, sie erfährt viel Hilfsbereitschaft aus Berlin. Wie an diesem Abend. Sie sind alle da, etwa 400 Leute. Freunde, Bekannte, Gönner und Sammler wie Friedrich Christian Flick, Christian Boros und Julia Stoschek haben sich im Hamburger Bahnhof zur Versteigerung zusammengefunden. Insgesamt 84 Kunstwerke von prominenten Künstlern wie Baselitz, Havekost, Uecker, Graubner waren eingeliefert worden. Zum Ersten, zum Zweiten… – drei Stunden brauchte „Auktionator“ Peter Raue, dann hatte er exakt 1,025 Millionen Euro mit dem Hammer eingetrieben – ein wunderbarer Erfolg. Der Erlös wird in den nächsten Bauabschnitt des Operndorfes fließen. „Im April geht es weiter“, sagt Aino Laberenz, die ganz aufgedreht ist, „weil alle Christophs Projekt so unterstützen.“
Den größten Versteigerungserfolg hatte Raue mit einer abstrakten, ein Meter großen Gouache des verstorbenen Künstlers Sigmar Polke, entstanden 1987. 66.000 Euro brachte sie – der Schätzwert lag bei 35.000 Euro. Sie ging an einen Hamburger Produzenten. Flick hatte das Werk aus seiner Sammlung spendiert. Nicht alle Werke waren freilich so erfolgreich, für Nairy Baghramians eigenwilligen „Waste Basket“ (geschätzt 6000 Euro) aus Draht konnte keiner sein Herz erwärmen. So manches Werk ging allerdings unter dem Schätzwert an den Mann, darunter auch Hermann Nitschs blutrotes Schüttelbild und erstaunlicherweise Havekosts Gemälde „Glanz“. Dafür brachte Gurskys großer „Gasherd“ immerhin 33.000 Euro, der Schätzwert lag bei 25.000 Euro. Leicht fiel es Aino Laberenz sicher nicht, sich von einem „Burg“-Kostüm, das ihr Mann 2003 getragen hatte, zu trennen. Ein junger Mann schlüpfte zur Demonstration in rote Plateauschuhe, Puschelperücke und Rüstung. Alle klatschten, alle dachten wieder an Schlingensief. Der Hammer fiel bei 20.000 Euro.
Jenseits des reichen Geldsegens für Afrika war es ein schöner, solidarischer Abend. Dieser Moment der Gemeinsamkeit, der Verbundenheit aller Beteiligten sagt viel über die Größe der Ideen Christoph Schlingensiefs.
Quelle: Berliner Morgenpost, 10.3.2012