Die große Benefiz-Auktion für Schlingensiefs Operndorf in Afrika brachte eine Million Euro ein. Der Weiterbau ist damit gesichert
Von Tim Ackermann
Was, wenn man diesen Abend doch als eine soziale Plastik begreifen würde? Hunderte Menschen sitzen in einer riesigen Halle und hören um sich herum die Tausender purzeln. Vier Tausender sind es hier, sechs dort, drüben zwölf, dann hier wieder neun und zwischendrin auch mal vierundzwanzig. Und ohne, dass man es recht bemerkt, sind drei Stunden vorbei und die vielen Tausender haben sich zu einem siebenstelligen Ergebnis aufgehäuft. Da reibt sich dann der Auktionator mit dem Taschentuch den Schweiß aus dem Gesicht und gesteht, dass es sein großer Traum gewesen sei, die Million zu erreichen.
Wenn Christoph Schlingensief hier gewesen wäre, an diesem Abend, mit in der Halle, dann hätte er sich wohl sehr gefreut. Denn er war ein Künstler, dem es unendlichen Spaß machte, die Menschen und die Massen zu bewegen. Und eine Million sind in Afrika so gut wie zwei oder fünf – auf jeden Fall kann man damit sowohl Menschen als auch Massen mobilisieren und eine Vision in den Sand stellen, sodass die soziale Plastik zugleich eine reale wird.
Exakt 1,025 Millionen Euro sammelte der fleißige Gelegenheitsauktionator Peter Raue am vergangenen Donnerstagabend bei einer Benefiz-Auktion in Berlin zugunsten von Christoph Schlingensiefs Operndorf Remdoogo ein. Damit ließe er sich nun wohl realisieren, der zweite Bauabschnitt des Kultur- und Entwicklungsprojekts, das der 2010 verstorbene Regisseur und Auktionskünstler für die Savanne von Burkina Faso erträumt hatte. Zur Versteigerung im Hamburger Bahnhof in Berlin hatten bekannte deutsche und internationale Künstler wie Georg Baselitz, Martin Creed, Olafur Eliasson, Gotthard Graubner oder Andreas Gursky, sowie einige Privatsammler wie Friedrich Christian Flick oder Brigitte und Arend Oetker Werke gespendet.
Dass die Veranstaltung mit dem schlingensiefesk-gigantomanischen Titel „Auktion 3000“ ein solcher Erfolg wurde, hatte man nur hoffen können. Schließlich eröffneten am gleichen Tag mit der Armory Show in New York und der Art Karlsruhe noch zwei Kunstmessen. Doch eine erfreuliche Erkenntnis der „Auktion 3000“ ist, dass die Berliner Szene, wenn es drauf ankommt, immer noch zusammenhält. Neben schlingensiefaffinen Museumsdirektoren wie Susanne Gaensheimer vom Museum für Moderne Kunst in Frankfurt, Chris Dercon von der Tate Modern und Nationalgalerie-Direktor Udo Kittelmann nahmen bekannte ansässige Sammler wie Christian Boros und Stephan Landwehr in den Stuhlreihen Platz – verstärkt durch auswärtige Sammlergrößen wie Julia Stoschek (Düsseldorf) oder Friedrich Christian Flick (Gstaad). Die Fraktion der vermutlich gnadenlos unterbezahlten und daher kunstkaufungeeigneten Berliner Schauspielprominenz wurde von Fritzi Haberlandt vertreten.
Und es gab eine Überraschung: Zu Anfang des Abends stieg die amerikanische Rocksängerin Patti Smith auf die Bühne. Für die Auktion hatte sie bereits ein eigenes Werk gespendet, eine Art visuelles Gedicht an Schlingensief mit Filzstift auf eine MDF-Platte skizziert: Herz, Pfeile und einige Wörter, die in sparsamer Smith-Prosa, die ihre „Freundschaft auf der Erde und in der Stratosphäre der Liebe und Erinnerung beschwören“. Vor den Auktionsgästen widmete die Sängerin ihrem Freund ein A-cappella-Lied. Mit tiefer, trauriger Stimme erzählte sie von weißen Flügeln, die frei durchs Blau des Berliner Himmels ziehen.
Weniger freischwebend oder gar schlingensief-anarchisch, sondern streng alphabetisch-protokollarisch verlief dann die Auktion: Ein Foto aus Matthews Barneys „Cremaster“-Zyklus konnte Stephan Landwehr früh für 22 000 statt erwartete 19 500 Euro erwerben. Das erste spektakuläre Bietgefecht löste ein Aquarell von Georg Baselitz aus, das ein junger Berliner Sammler und sein Lebenspartner praktisch zeitgleich mit dem Hammerschlag noch schnell auf 42 000 Euro (Taxe: 30 000) hoben und sich so für die gemeinsame Wohnung sicherten.
„Ich habe bei jedem Gebot gleich mitgerechnet: Jetzt haben wir die Krankenstation drin, jetzt die Solaranlage“, sagte Aino Laberenz, Schlingensiefs Witwe, nach der Auktion. Seit Oktober 2011 steht in Remdoogo eine Schule, in der 50 Kinder unter anderem auch Kunst-, Musik und Filmunterricht bekommen. Im zweiten Schritt sollen nun eine Krankenstation, eine autonome Energieversorgung, Ateliers, Wohn- und Gästehäuser sowie ein Sportplatz entstehen. Denn anders als vielleicht vermutet, soll Schlingensiefs Operndorf kein Tempel der europäischen Hochkultur in der Savanne sein, sondern eher eine freie Spielstätte, wo Menschen miteinander leben und voneinander lernen können.
Diesem Ziel ist man am Donnerstag ein großes Stück näher gerückt. Zu den Käufern, die am teuersten zuschlugen, gehörte Flick, der sich ein Aquarell von Martin Creed für 33 000 Euro sicherte (Schätzpreis: 19 000). Julia Stoschek kaufte Valie Exports großformatige Performance-Fotografie „Körperfiguration WVZ 229“ für 30 000 Euro (geschätzt: 25 000) und freute sich, „weil das Bild perfekt in die Sammlung passt“. Der Berliner Galerist Johann König erwarb ein violettes Acrylbild von Katharina Grosse für 22 000 Euro (Taxe: 20 000 Euro). Den spektakulärsten Auftritt aber hatte zweifellos der Filmproduzent Peter Schwartzkopff, der gegen zwei Telefon- und einen Saalbieter eine unbetitelte Gouache von Sigmar Polke auf 66 000 Euro steigerte (Taxe: 35 000). Schwartzkopff erwarb noch ein Gemälde von Gregor Hildebrandt und ein Aquarell von Martin Eder. Als stellvertretender Kuratoriumsvorsitzender des Hamburger Theaterfestivals fühlt sich Schlingensief verbunden, seit man 2010 dort kurz nach seinem Tod seine Oper „Mea Culpa“ aufführte.
Auch wenn im Laufe der „Auktion 3000“ die Tausender einmal zögerlich purzelten, sprangen immer wieder helfende Bieter ein. Auktionator Raue neckte Sammler Christian Boros persönlich noch von 10 000 auf 13 000 Euro für eine John-Bock-Skulptur hoch. Und in die Stille um eine Papierarbeit von Günter Brus rief Patti Smith: „8000 Euro“. Danach freute sie sich über das Werk eines ihrer Lieblingskünstler, das sie über ihren Schreibtisch hängen will.
Smiths eigenes Werk ging für 20 000 Euro an die Berliner Nationalgalerie. „Es war ein fantastischer Abend“, sagte die Sängerin. „Nun können wir das Operndorf weiterbauen. Und ich bin auch sehr glücklich, dass mein Werk für Christoph nun in einem Museum aufbewahrt wird. Ich habe es an dem Tag geschrieben, an dem ich ihn zum letzten Mal sah.“ Man kann Smith gut verstehen, denn darum ging es an diesem Abend – abgesehen von den Spenden – wohl auch: Die Erinnerungen an Schlingensief und seine Visionen lebendig zu halten. Und so erzählt Aino Laberenz noch, als man gemeinsam das Museum verlässt, was ihr die Menschen in Remdoogo sagten, nachdem Schlingensief gestorben war: „Bitte lasst uns jetzt nicht im Stich.“
Quelle: WELT AM SONNTAG vom 11.3.2012