SIBYLLE DAHRENDORF: „DIE TOTEN SIND NICHT tOT“

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Filmemacherin Sibylle Dahrendorf über ihre Schlingensief-Dokumentation.

(c) Aino Laberenz

Bayreuth in Afrika, ein Opernhaus in der Savanne? Der Regisseur und Aktionskünstler Christoph Schliengensief hatte sich zum Ziel gesetzt, ein ganzes Operndorf in Burkina Faso zu bauen – mit Schule und Krankenstation. Dann starb er an Lungenkrebs. Sibylle Dahrendorf (48) hat ihn mit der Kamera begleitet – für den Dokumentarfilm „Knistern der Zeit“. Patrik Müller sprach mit ihr.

Ticket: Frau Dahrendorf, erzählen Sie in Ihrem Film vom Bau eines Operndorfes oder vom Kampf gegen den Krebs?

Sibylle Dahrendorf: Es geht um die Entstehungsgeschichte des Dorfes. Darum, wie Christoph diese Idee vorangetrieben hat. Seine Krankheit spielt eine immer wiederkehrende Rolle, der Film ist aber keine Auseinandersetzung mit ihr in dem Sinn, dass danach gefragt wird, woher sie kommt und warum sie den einen trifft und den anderen nicht. Siehatte natürlich Einfluss auf das Projekt und den Film, es geht aber auch darum, wie das Operndorf weiterlebt – nicht zuletzt durch die Arbeit von Aino Laberenz, seiner Frau, und Francis Kéré, dem Architekten.

Ticket: Ist Ihr Film eine Parabel darüber, wie wichtig Ziele sind?

Dahrendorf: Das weiß ich nicht. Ich fand es beeindruckend zu sehen, wie jemand, der lebensbedrohlich krank ist, einen Aufbruch wagt, Verbündete sucht, ein großes Projekt startet – und seinen Radius in einer Situation erweitert, in der viele Menschen ihn verengen.

Ticket: Wie eng war Ihr Verhältnis zu Schlingensief? War er ein Freund? Ein Bekannter?

Dahrendorf: Mit solchen Begrifflichkeiten würde ich nicht arbeiten. Ich habe ihn 1998 kennengelernt, als Fernsehjournalistin hatte ich immer wieder mit ihm zu tun. So entstand über Jahre auch Vertrauen. Dann darf man auch mal einen Entstehungsprozess dokumentieren und nicht erst dann filmen, wenn alles fertig ist und etwas zum Vorzeigen da ist – wie wir es auch beim Operndorf gemacht haben.

Ticket: Wieso haben gerade Sie diesen Film gedreht?

Dahrendorf: Das war eine innere Notwendigkeit. 2009 habe ich ein 45-minütiges Fernsehporträt über Schlingensief gemacht, bei dem die Krankheit und sein Umgang damit eine größere Rolle spielten. Damals war es ein weiter Weg bis zum Operndorf – und es liegt in der Natur meines Berufs, so eine Geschichte weitererzählen zu wollen.

Ticket: Hat der Film Sie persönlich verändert?

Dahrendorf: Ja, total. Ich musste mich extrem mit dem Tod auseinandersetzen und habe mir immer wieder die Frage gestellt, ob ich der Geschichte des Operndorfes gerecht werde. Das verändert. Eine wichtige Erfahrung waren auch die vielen Reisen nach Burkina Faso, der kulturelle Reichtum in einem Land, das wirtschaftlich betrachtet als arm gilt – und ein völlig anderer Umgang mit Leben und Tod.

Ticket: Wie sieht der aus?

Dahrendorf: Für den Film habe ich, nach Christophs Tod, mit Weggefährten gesprochen. Mit Stanislas Meda, damals Mitglied des Kulturministeriums, der sehr dabei geholfen hat, den Weg zum Operndorf zu bahnen. Und der sagt auf einmal: Vielleicht sitzt Christoph ja gerade hier bei uns im Raum, im Computer vielleicht oder im Fotokopierer, die Toten sind nicht tot. Und das war nicht nur so daher gesagt – dass Christoph Schlingensief Spuren hinterlassen hat und da ist, spielt auch im Film eine wichtige Rolle.

Knistern der Zeit, Kinostart: 7. Juni