Christoph Schlingensief hatte eine Vision. Ein Operndorf in Burkina Faso. Mitten in der afrikanischen Pampa. Es ist noch nicht lange her, da stempelten ihn viele Kritiker für diesen Traum zum Verrückten. Ein Fitzcarraldo wie in Werner Herzogs Film. Der größenwahnsinnige Exzentriker wollte ein Opernhaus im peruanischen Dschungel bauen und sogar Caruso dorthin engagieren. Ein zum Scheitern verurteiltes Projekt.
Von Scheitern kann im Falle Schlingensiefs keine Rede sein, auch wenn ihm der Tod einen Strich durch die Rechnung machte. Im August 2010 erlag er einem Krebsleiden. Unter der Obhut von Freunden und Helfern wie Schlingensiefs Witwe, der Bühnen- und Kostümbildnerin Aino Laberenz oder dem deutschen Architekten Diébédo Francis Kéré (Foto, rechts), der in Burkina Faso geboren wurde und das Operndorf in dem westafrikanischen Staat entworfen hat, wächst und gedeiht es prächtig.
Allen Unkenrufen zum Trotz konnte die Eröffnung im Oktober letzten Jahres stattfinden.
Verrückter oder Visionär? Christoph Schlingensief war die Synthese aus beidem. Einmal mehr und besonders lebhaft erfährt man das in „Knistern der Zeit – Christoph Schlingensief und sein Operndorf in Burkina Faso“, Sibylle Dahrendorfs packender Dokumentation über das Lebensprojekt des radikalen Filmemachers, Theaterregisseurs, Autors, Talkmasters und Aktionskünstlers, dessen Auseinandersetzung mit dem Sterben von der Entstehung des Operndorfes nicht zu trennen ist. Das zeigt der anrührende Film mit aller Deutlichkeit.
Größenwahn und Oper gingen schon immer gut zusammen, man denke an Wagner und das alljährliche Bayreuthspektakel. Um Vergleichbares ging es Schlingensief mitnichten. „Es wird hier keinen grünen Hügel geben, dafür lege ich meine Hand ins Afrikanische Feuer“, schwört er von der Leinwand herab. Arien und Orchester seien willkommene Optionen, das Wichtigste aber Kinder, eine bereits eröffnete Schule, eine Klinik, ein Fußballplatz. Wenn er sich nicht selbst mit einem Handy filmt, übernimmt die Kamera und verfolgt ihn und seine Mitarbeiter bei Planung und Bauarbeiten in der Savanne. Dazu zeigt die Doku Ausschnitte aus der dort entstandenen Theaterproduktion „Via Intolleranza“, die beim Berliner Theatertreffen zu sehen war.
Christoph Schlingensief lebt spürbar weiter, nicht zuletzt in den Liedern, die die Anwohner Burkina Fasos zu seinem Andenken singen. Bewegendes Vermächtnis.
Aus: Der Tagesspiegel vom 07.06.2012
Autor: Tobias Schwartz