Im September 2008 forderte dieses Feuilleton aus Anlass der grandiosen Krebsmesse „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“, die Christoph Schlingensief in Duisburg zelebriert hatte: „Schlingensief muss Papst werden. Wenigstens Narrenpapst. Dann kann der Islam einpacken.“ Dieser Traum kann leider nicht mehr wahr werden, denn Christoph Schlingensief ist im August 2010 seiner Krankheit erlegen, und die katholische Kirche rekrutiert, trotz bester Verbindungen zum Jenseits, ihr Personal nach wie vor ausschließlich unter den Lebenden. Es reicht ja, wenn der oberste Chef nicht von dieser Welt ist.
Ein bisschen näher ist der viel geliebte Schlingensief seiner posthumen Verpapstung aber trotzdem noch gekommen. In Oberhausen soll am kommenden Mittwoch immerhin die Pacellistraße nach dem größten Künstlersohn der Stadt benannt werden. An dieser etwa 100 Meter langen Straße liegt die Herz-Jesu-Kirche, in der der Regisseur als Messdiener erstmals auftrat und deren Innenraum Modell für das Bühnenbild von „Eine Kirche der Angst“ war. Obwohl Schlingensief bis zuletzt seiner angestammten Religion treu blieb, hat die Kirche Einwände gegen die Umbenennung. Denn der bisherige Namensgeber war ein Papst: Pius XII. trug bis zu seiner Ernennung den bürgerlichen Namen Eugenio Pacelli. Ein Jahr nach Pacellis Tod 1958 wurde die kleine Straße in Oberhausen, die vorher nach einem Nazi-Autor hieß, nach ihm benannt.
„Und das stieß hier damals auf große Zustimmung“, sagte Pfarrer Peter Fabritz, der die Umtaufe auf Schlingensiefs Namen „eine unhistorische Entscheidung“ nennt, auch wenn er nicht grundsätzlich gegen eine Umbenennung einer Straße nach „dieser ganz bewundernswerten Person“ sei. Doch die Entscheidung ist unumstößlich. Oberhausen will sich offenbar auf keinen Fall nachsagen lassen, es vernachlässige das Andenken seines berühmten Bürgers. Der zu Lebzeiten ja keineswegs unumstrittene Schlingensief wird in seiner Heimat von vielen schon jetzt wie ein Heiliger verehrt. Andererseits hatten sich die Anwohner der Straße Alter Markt, die zu Schlingensiefs Elternhaus führt, massiv gegen eine Umbenennung gewehrt. An der Pacellistraße wohnen nur zehn Menschen, das minimierte den Widerstand.
Der Vorgang hat eine theaterhistorische Pointe: Eugenio Pacelli war ja der Papst, den Rolf Hochhuth in seinem Theaterstück „Der Stellvertreter“ anklagt, die Augen vor dem Judenmord verschlossen zu haben. Historiker zweifeln diese Sichtweise zwar an. Doch der 91 Jahre alte Autor Hochhuth klammert sich an die Thesen seines einzigen Welterfolgs. Es müsste den Theatermann Hochhuth freuen, dass ein Kollege jetzt Pacelli verdrängt hat.
Die Stadt Oberhausen will mit dem Namensentzug allerdings kein Urteil über Pius sprechen: Der Platz vor dem Eingang der Herz-Jesu-Kirche soll bald in Pacelliplatz umbenannt werden.
Quelle: Die WELT vom 13.08.2012. Autor: Matthias Heine