Aino Laberenz über die Autobiografie des verstorbenen Theatermachers Christoph Schlingensief
In wenigen Tagen wäre er 52 geworden, vor wenigen Wochen jährte sich zum zweiten Mal sein Todestag: Christoph Schlingensief – Filmemacher, Regisseur, Aktionskünstler und manches mehr. Zuletzt hat er an seiner Autobiografie gearbeitet. Fertig gestellt hat sie jetzt seine Witwe, die Bühnenbildnerin Aino Laberenz.
Frau Laberenz, heute erscheint die von Ihnen fertig gestellte Autobiografie Christoph Schlingensiefs mit dem Titel „Ich weiß, ich war’s“. Warum haben Sie dem Buch diesen Titel gegeben?
Den Titel habe nicht ich festgelegt. Den hat wirklich noch mein Mann seiner Autobiografie gegeben. Der stand schon relativ früh fest. Ich musste keinen Titel suchen.
Sie haben sich seine Notizen und Diktate vorgenommen. Sie haben sie abgehört, transkribiert, gesichtet, ergänzt. Haben Sie bei dieser intensiven, posthumen Auseinandersetzung mit Ihrem Mann neue, unbekannte Seiten von Christoph Schlingensief kennen gelernt?
Das kann ich eigentlich nicht sagen, zumal ich zusammen mit ihm an dem Material gesessen habe. Es gab eine Zeit, da habe ich so gut wie alle Interviews gelesen, die Christoph gegeben hatte. Und dann habe ich nachvollzogen, wie er in seinem Leben an bestimmten Themen dran war. Wie er die hinterfragt hat. Was ihn begleitet hat. Und was er komplett umgeschmissen hat. Das fand ich wahnsinnig spannend, ihn noch mal anders kennen zu lernen. Oder genauer kennen zu lernen. Das war für mich auch wahnsinnig schön. Und wahnsinnig schmerzhaft. Ja, da habe ich schon eine Menge über ihn gelernt und gefunden.
Zu welchem Bild von Christoph Schlingensief verdichtet sich jetzt für Sie die Persönlichkeit aufgrund seiner Notizen?
Ach, das ist ganz schwer in ein Wort oder in einen Satz zu fassen. Ich kannte ihn natürlich als Privatperson und als Arbeitsperson. Er war ein totaler Egoist. Ein widersprüchlicher Mensch, ein total liebevoller Mensch, der anderen Menschen zuhören konnte, der aufnahmefähig war. Und trotzdem wusste er genau, was er wollte. Er war jemand, der sich permanent hinterfragt hat und immer in Bewegung war. Für mich war Christoph wahnsinnig im Jetzt verankert. Jemand, der die Gegenwart extrem aufgenommen hat. Und jemand, der unfassbar lustig war und einen unschlagbaren Humor hatte.
Mit knapp 50 ist Christoph Schlingensief an Lungenkrebs gestorben. Er hat bis zuletzt seine unterschiedlichen Projekte verfolgt. Sie versuchen sie nun zu einem guten Ende zu bringen, etwa das Operndorf in Burkina Faso. Gab es noch andere Projekte, von denen Sie jetzt erfahren haben?
Nein. Es gab natürlich eine Menge, woran Christoph noch arbeiten wollte. Aber er war nie jemand, der extrem in die Zukunft geplant hat. Da gab’s nichts Unvollendetes oder Fertiges, das man jetzt irgendwo im Keller suchen kann. Auf der anderen Seite gibt’s ganz viele Drehbücher. Und ich weiß nicht, ob man schon alles gesehen hat.
Eine Autobiografie ist der Versuch, sich selber quasi von außen zu beobachten und zu interpretieren. Dieser Brückenschlag zwischen dem Eigenen und dem scheinbar Fremden ist ja schwierig, weil Ego und Alter Ego sich nicht sauber trennen lassen. Wenn Sie jetzt die Reflexionen von Christoph über Schlingensief noch einmal lesen: Gab es Punkte, wo er in seiner Selbstwahrnehmung sehr weit von sich weg war. Wo Sie ihn anders erlebt haben – wo es Differenzen gibt zwischen Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung?
Schwierig zu sagen. Für mich war Christoph einer der ehrlichsten Menschen, die ich kennen gelernt habe – im Umkehrschluss auch jemand, der ein schlechter Lügner war, beziehungsweise sich nichts vormachen konnte. Es gab diese Momente: Wenn er sich unwohl in seiner Arbeit gefühlt hat – ob das eine Auftragsarbeit war oder irgendetwas, wo er anderen gefallen wollte und nicht bei sich geblieben ist – dann hat er körperlich reagiert und hat eine Allergie bekommen: so eine autoaggressive Allergie. Die Ärzte haben das damit begründet, dass er sich dann selber nicht mochte. Für mich, so wie ich ihn kenne, ist erstaunlich, was für ein gutes Gefühl er für sich selbst hatte.
Ein Schlüsselsatz seiner Autobiografie scheint mir zu sein: „Ich bin nicht der geworden, der ich sein wollte.“ Wissen Sie jetzt, wer er sein wollte?
Nein, ich weiß es nicht. Er war das, was er war. Ich habe keine Ahnung, ob Christoph genau wusste: Das uns das möchte ich mal werden. Für mich war er wie ein Schwamm, der alles aufgesogen hat und gleichzeitig abgegeben hat. Er war ständig in Bewegung. Er war auf seinem Weg. Sicherlich ist er im Prinzip das geworden, was er werden wollte. Aber er ist halt auch nicht stehen geblieben.
Das SWR2 Kulturgespräch mit Aino Laberenz, Witwe und Arbeitspartnerin des verstorbenen Theatermachers Christoph Schlingensief, führte Reinhard Hübsch am 8.10.2012 um 7.45 Uhr.