Sieben Jahre hat Aino Laberenz ihr Leben mit Christoph Schlingensief geteilt. Seit der Regisseur 2010 an Lungenkrebs starb, arbeitet die Witwe daran, sein vielseitiges Werk zu runden. Jetzt gibt sie eine Biografie heraus, an der Schlingensief noch selbst gearbeitet hat.
Packen Sie Ihre Koffer und verschwinden Sie aus Deutschland, hat ihr mal einer geraten. Der Mann meinte es gut mit Aino Laberenz, er wollte sie warnen vor der Last des Erbes, das sie angetreten hat. Doch die junge Frau, die sieben Jahre ihr Leben mit dem Regisseur und Aktionskünstler Christoph Schlingensief geteilt hat, will nicht anders. Sie möchte doch, dass die künstlerische Leistung ihres Mannes gewürdigt wird. Sie findet, dass er das verdient hat – internationale Anerkennung. „Ich hab ja die Freiheit, meine Koffer jederzeit zu packen“, sagt sie, „aber das käme mir vor, als liefe ich davon.“
Stattdessen arbeitet Aino Laberenz (31) seit dem Tod ihres Mannes im August 2010 still und beharrlich daran, das bewusst heterogene Werk dieses mutigen, rastlosen, wirr-weisen Performancekünstlers zu runden. Sie hat bei der Biennale in Venedig den deutschen Pavillon gestaltet, den eigentlich Schlingensief einrichten sollte, und gewann den Goldenen Löwen für den besten Länderpavillon. Sie baut das Operndorf weiter, das Schlingensief in Burkina Faso gegründet hat. Und sie gibt nun seine autobiografischen Erinnerungen heraus. Ein Buch, das Texte montiert, die Schlingensief selbst geschrieben oder gesprochen hat. In „Ich weiß, ich war’s“ sind Mitschriften von Lesungsabenden versammelt, Blogbeiträge, Texte, die Schlingensief ins Diktiergerät gesprochen hat. Man kommt ihm nahe in diesen Zeilen. „Die Arbeit am Buch hat mir gut getan, sie war aber schmerzhaft“, sagt Laberenz, „ich bekam durch die Texte ja ständig gesagt: Dein Mann ist tot. Dabei habe ich das noch immer nicht verstanden. Werde ich vielleicht auch nie.“ Ihren Ehering trägt sie am Finger, seinen an einer Kette um den Hals. Es ist eine goldene Panzerkette.
Irgendwann hat Laberenz dann doch so viel Abstand gefunden, dass sie den Worten ihres Mannes wieder begegnen konnte. Sie hat ihm zugehört, wie er aus den Texten spricht, hat sortiert, mit einer Struktur gerungen. Das Ergebnis ist nun eine Montage, die das Leben des Künstlers nicht chronologisch nacherzählt, dafür aber Positionen festhält, Schlingensiefs Haltungen zum Leben, zur Gesellschaft, zur Kunst. „Ich beanspruche Christoph nicht für mich, ich will sein Werk nicht okkupieren“, sagt Laberenz, „jeder hat seine Wahrheit mit ihm, das ist ja das Tolle. Ich möchte, dass dieses Werk freigelassen und wahrgenommen wird.“
Darum ist Aino Laberenz jetzt auch mit Bauarbeiten in Afrika beschäftigt. Wenn sie von ihrer Arbeit im Operndorf erzählt, spürt man, wie energisch, wie stark sie sein kann. „Ich weiß, dass ich jung und zart und klein wirke“, sagt sie. Ständig werde sie gefragt, wie sie sich als Frau allein in Afrika durchsetzen könne. „Aber darum geht es gar nicht“, sagt sie. „Ich glaube ganz stark an dieses Projekt, die Menschen vor Ort auch, darum machen wir es gemeinsam weiter.“
16 Häuser sind gebaut, eine Krankenstation eröffnet demnächst, das Kulturprogramm ist in Arbeit. Alle zwei, drei Monate fliegt Laberenz nach Afrika, begutachtet die Bauarbeiten, spricht mit Ministern, mit Ärzten, den Menschen vor Ort. „Ich weiß um die Verantwortung, immerhin gehen dort schon 50 Kinder zur Schule, 50 weitere werden bald kommen“, sagt sie, „aber das macht mir keine Angst.“ Und wenn sie dann wieder heimkehrt nach Europa setzt Aino Laberenz ihre Arbeit als Bühnenbildnerin fort.
Gerade hat sie die Kostüme für das Stück „Sender Freies Düsseldorf“ des Punk-Musikers und Theatermachers Schorsch Kamerun geschaffen, das am Düsseldorfer Schauspielhaus Premiere hatte. „Ich arbeite gern mit Regisseuren, die sich wirklich für die Ideen ihres Teams interessieren“, sagt Laberenz. „Ich will nicht über die Länge irgendeines Rocks diskutieren. Ich beobachte den Probenprozess, ich habe eine Haltung zum Stück, und die mündet dann in die Kostüme.“
So hat sie auch mit Schlingensief zusammengearbeitet. „Wir hatten die gleichen Fantasien, konnten gut gemeinsam Welten ausdenken“, sagt sie. Kennengelernt haben sie einander in Zürich, er inszenierte dort, sie war Assistentin. Als sie sich auf einem Flur begegneten, wusste sie gar nicht, wer er war. Doch auf diesem Flur trafen sich ihre Blicke. „Ich war ihm gegenüber völlig unvoreingenommen“, sagt sie, „aber vielleicht wäre ich sonst auch gar nicht frei gewesen für diesen Blick.“
Er hat Laberenz für immer verändert. Sie hat ihr Leben mit Schlingensief geteilt und sein Sterben. Wer ihr begegnet, spürt, wie jung die Trauer ist und wie schmerzhaft. Doch zu spüren ist auch, dass sie ihrem Weg gewachsen ist.
Aino Laberenz muss nicht ihre Koffer packen, nicht davonlaufen. Sie floh auch nicht, als Christoph Schlingensief von seiner Krebserkrankung erfuhr. Er erzählt davon im letzten Buch, das den Sound seiner Stimme und seines Denkens verrät. Aino Laberenz wird dieser Stimme weiter Gehör verschaffen. Sein Erbe ist in starken Händen.
Quelle: RP Online vom 08.10.2012, von Dorothee Krings