LEPORELLO – ANBLICKE UND EINSICHTEN (Ö1)

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Anblicke und Einsichten: die Bühnen- und Kostümbildnerin Aino Laberenz

„Der Blick hat sich getroffen: ich hab nicht irgendwie grüne Augen oder einen schönen Mann gesehen, wir haben uns einfach gesehen, ich glaub, wir haben UNS gesehen“

„Anblicke und Einsichten“, wie man sie vermutlich nicht oft erlebt. Für Aino Laberenz, die Witwe des Film- und Theaterregisseurs Christoph Schlingensief, begann mit jener ersten Begegnung eine siebenjährige Arbeitsgemeinschaft – und eine ungewöhnliche Liebesgeschichte. Soeben hat die Bühnen- und Kostümbildnerin einen Erinnerungsband an den vor zwei Jahren verstorbenen Christoph Schlingensief herausgebracht.

„Ich weiß ich war‘s“

Das Buch hat Schlingensief mittels Aufzeichnungen und Tonbandaufnahmen ein Jahr vor seinem Tod noch selbst begonnen, Laberenz hat das Werk nun vollendet. „Ich weiß ich war‘s“ lautet der Titel. Und das war auch das Lebensmotto des Künstlers, der einst durch zahlreiche Aktionen Aufsehen erregte, der konfrontierte und polarisierte. Der Satz „Ich weiß ich wars“ besagt, so Aino Laberenz: „Ich übernehme die volle Verantwortung für alles, was ich getan habe“.

„Das ist ein Satz, der sich auch bei mir extrem eingeprägt hat. Sei haftbar für das was du tust d.h. dass das jemand war der wirklich an das geglaubt hat was er gemacht hat. Ob das gut oder schlecht war ist noch mal eine andere Sache oder wie man das bewerten will aber in dem Moment in dem er sich aufgehalten hat, was er getan war er überzeugt davon, er hätte was zu sagen und stand dafür mit Haut und Haar zur Verfügung.“

Kunst – heftige Kollision mit dem Leben

Aino Laberenz, 1981 in Finnland geboren, lernte Christof Schlingensief mit Anfang 20 am Schauspielhaus in Zürich kennen; ein Jahr lang – bis zu seinem Tod im August 2010 – war sie mit ihm verheiratet. Schlingensiefs eigensinnige Art, Kunst nicht bloß zu betreiben, sondern mit vollem Einsatz zu leben, eröffneten der studierten Kunsthistorikerin einen gänzlich neuen Blick auf das Metier.

Ob bei der spektakulären Container-Aktion „Ausländer raus“ bei den Wiener Festwochen des Jahres 2000, wo – gleichsam in der Hauptrolle – Asylwerber mitwirkten; oder im westafrikanischen Operndorf Ouagadougo in Burkina Faso – für Christoph Schlingensief war Kunst, so Aino Laberenz, eine einzige heftige Kollision mit dem Leben.

Das Projekt Afrika

Christof Schlingensief hatte die Fähigkeit, Menschen wirklich zu sehen, sagt Aino Laberenz. – Eine Fähigkeit, die auch die Grundlage für das Projekt „Afrika“ bildete, das Schlingensief im Jänner 2009 in Burkina Faso begann, und das Aino Laberenz nach dem Tod des Mentors nun weiterführt.

50 Kinder zwischen sechs und acht Jahren haben soeben die erste Klasse der errichteten Schule beendet, auch eine Krankenstation gibt es. Dabei hat das Unternehmen nicht bloß pädagogisch-soziale Hilfestellung oder medizinische Grundversorgung zum Ziel, im Zentrum steht vielmehr die Kunst, und mit ihr ein fruchtbringender Austausch

Im Afrika-Projekt geht es um eine Perspektiv-Verschiebung betont Aino Laberenz: ein Land eines fremden (fernen?) Kontinents soll im Sinne Christof Schlingensiefs „gesehen“ werden: das bedeutet, dass zuallererst dessen Eigenheiten wahrgenommen, und nicht etwa, dass europäische Ansichten gleichsam in einem Hilfspaket nach Afrika exportiert werden. Die sozialen, pädagogischen und medizinischen Hilfsmittel dienen letztlich nur der Wegbereitung, das Ziel aber heißt: der Kunst ihre Freiheit zu gewähren.

Das Wesen der Kunst

„Das Knistern der Zeit“ heißt der Film, der seit gestern im Filmhaus Wien gezeigt wird, Regisseurin Sibylle Dahrendorf dokumentiert darin Christoph Schlingensiefs Afrika-Projekt. Aber auch Schlingensief selbst schrieb gemeinsam mit Aino Laberenz ein Drehbuch für einen letzten Film. In seinem Erinnerungsband „Ich weiß, ich wars“ schreibt er über das Projekt, dass nie vollendet wurde. Die Zeilen geben die Auffassung seiner Arbeit wieder: die Zeit, die man der Kunst widmet, triumphiert über die reale Zeit, die einem zum Leben bleibt, schrieb Christoph Schlingensief.

„Der Film, der gedreht werden soll, wird begonnen, und es steht genug Zeit zur Verfügung, ihn anlaufen zu lassen und der künstlichen Zeit, die ein Film darstellt, Raum zu geben und dadurch die reale Zeit, die reine Verschwendung darstellt, zu löschen, wie man auch durch alles andere die reale Zeit auszulöschen versucht. Das ist nichts Besonderes. Das ist das Wesen der Kunst – mehr nicht. Und dass das noch geht, muss erst unter Beweis gestellt werden. Und zwar von ihm. Von ihm allein. Sonst kommt der Tod und holt ihn. Das weiß er und das weiß der Tod, der manchmal unschlüssig im Raum herumgeistert.“

Quelle: ORF Ö1, Leporello, Anblicke und Einsichten, 12. Oktober 2012