Das Buch ist so,“wie die Arbeiten von Christoph Schlingensief waren: Es ist witzig und melancholisch. Und: Es macht noch einmal dankbar, dass es einen solchen, wie ihn gab“, findet Sven Ricklefs.
Wollte Christoph Schlingensief nur um der Provokation Willen provozieren oder gehörte er vielleicht doch zu den letzten deutschen Moralisten? Die ungeheure Produktivität des Regisseurs wirkt über seinen frühen Tod hinaus. Gerade ist unter dem Titel „Ich weiß, ich war’s“ posthum eine Sammlung von Bildern und Texten Schlingensiefs erschienen.
Die Auswahl und Zusammenstellung der Texte musste posthum Christoph Schlingensiefs Witwe besorgen. Den Titel für dieses Buch hat er noch selbst gefunden, und damit vielleicht das Credo seiner eigenen Arbeit hinterlassen: „Ich weiß, ich war’s“ – ein Bekenntnis, ein Statement, das für sein Leben ebenso gilt wie für das, was er geschaffen hat. Vielleicht kaum ein großer Künstler der letzten Jahrzehnte ist in seinem Werk so egomanisch von sich selbst ausgegangen wie Christoph Schlingensief. Und kaum einer reichte dabei so radikal mit seinen Filmen, seinem Theater, seiner Kunst in die Gesellschaft hinein wie er.
Radikale Selbstentäußerung
Die Lust an der Provokation trieb Schlingensief ebenso an wie der Selbstzweifel. Aus den eigenen Ängsten schlug er ebenso Funken wie aus der Verzweiflung über das, was man gemeinhin als gesellschaftliche Zustände bezeichnet.
Am Anfang war es etwa die eigene Familie, an der sich Christoph Schlingensief abarbeitete: die Herkunft, die Heimatstadt Oberhausen, der katholische Glaube. Oder aber jenes Deutschland, das glaubte, sich in ebenso sauberer wie klinisch distanzierter Vergangenheitsbewältigung das Dritte Reich aus den Annalen entfernen zu können. Am Schluss war es die eigene Krankheit, der Krebs, den er in radikaler Selbstentäußerung ebenso wie egomanischer Selbstbespiegelung zum Gegenstand seiner Arbeiten machte. Etwa in seinem großartigen Projekt „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“, das auch eine Persiflage war auf das eigene Leiden und die eigene Angst vor dem Tod.
Vom Grünen Hügel bis zum Operndorf in Afrika
Mit seinem anrührenden Krebs-Tagebuch „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein“ ging Christoph Schlingensief kurz vor seinem frühen Tod auf Lesereise und las auf den Veranstaltungen dann doch nicht, sondern erzählte: von sich, dachte nach, monologisierte über das, was er bisher getan hatte, und über das, was er noch vorhatte.
Der Wahnsinn von Bayreuth kommt in diesem Buch zu seinem Recht. Der Grüne Hügel, wo Schlingensief Wagners „Parsifal“ inszenierte, oder auch das Operndorf in Burkina Faso, diese Mischung aus Kunstidee und Engagement, diese soziale Plastik in der so vieles zusammenläuft, was Schlingesiefs Leben und Werk bestimmt hat.
Die Abschriften und Tonmitschnitte dieser Lesereise-Monologe sind nun ebenso in „Ich weiß, ich war’s“ eingegangen wie frühere Bekenntnisse, Aufzeichnungen, Blogeinträge oder auch Schulaufsätze.
Nachdenklich, witzig, melancholisch
„Ich weiß, ich war’s“ ist ein nachdenkliches Buch und vor allem ein des Nachdenken wertes. Es ist sprunghaft, in einer berückenden Weise ehrlich, es ist unfertig, zweifelnd und Fragen stellend und es ist damit so, wie immer auch die Arbeiten von Christoph Schlingensief waren. Es steckt voller Liebe zu seinen Wegbegleitern, es ist voller Schmerz, es ist witzig und melancholisch. Und es macht noch einmal dankbar, dass es einen solchen wie ihn gab, der einen immer wieder dazu reizte auch einmal selbst in die eigene Unzulänglichkeit hinabzusteigen. Und es macht noch einmal traurig, dass er nicht mehr da ist.
Quelle: BR2 kulturWelt vom 15.10.2012