„FOLGE MIR NACH!“ (WELT)

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Die Berliner Akademie der Künste erinnert an Schlingensief: Friedrich Küppersbusch zeigte komische „ZAK“-Filme, Wim Wenders las einen rührenden Text und Patti Smith brachte das Publikum zum Singen.

dapd

Der Gastgeber setzte sich gleich zu Beginn selbst außer Gefecht. Klaus Staeck, der Präsident der Akademie der Künste Berlin, hatte – wie er selbst leicht verkniffen scherzte – das Motto „Intensivstationen“ allzu wörtlich genommen und war heftig gestürzt. Die Begrüßung zum Gedenkfest für den vor gut zwei Jahren gestorbenen Christoph Schlingensief konnte Staeck noch sprechen, nachdem er humpelnd auf Jürgen Flimm gestützt die Bühne erklommen hatte, danach musste er sich ins Krankenhaus verabschieden.

Dass Staeck der einzige derartige Fall blieb, grenzt an ein Wunder. Denn vor allem die älteren Gäste waren sichtbar irritiert von dem ununterbrochen kreiselnden Podium, das mit dieser Drehbewegung an den Animatographen erinnern sollte – Schlingensiefs Versuch, so etwas wie eine Installation zu schaffen, die seine Kunst aus den vergänglichen Sphären des Theaters und der Performance in die Ewigkeit rüberretten sollte.

Für Patti Smith, die man sich als Stargast und Kronzeugin der internationalen Bedeutung des teuren Toten bis zum Schluss aufgehoben hatte, musste die Bühne schließlich sogar angehalten werden. Der New Yorker Sängerin war schon vom zweistündigen Hinsehen so nachhaltig schlecht geworden, dass sie sich sogar auf dem still stehenden Podium immer noch im Brummkreisel wähnte.

Der Aufnahme in die Akademie kam der Tod dazwischen

Anlass für die Gedenkveranstaltung waren Schlingensiefs Memoiren, die vor ein paar Wochen erschienen sind, und die Übergabe seines Archivs an die Akademie der Künste. 40 Regalmeter – überwiegend elektronische Medien, wie Staeck noch berichtete. Die Übergabe sei schon vor dem Tode des Regisseurs und Aktionskünstlers vereinbart worden, doch die Krebserkrankung habe verhindert, dass man sie gemeinsam angemessen zelebrieren konnte.

Auch der Aufnahme in die Akademie war 2010 der Tod zuvorgekommen. In Schlingensiefs Alter – er war noch nicht mal fünfzig, als er starb – würde man von den langsam mahlenden Mühlen der Institution immer vertröstet, sagte Staeck, und es war nicht ganz klar, ob der schmerzlich-ironische Ausdruck, mit dem er dieses Bekenntnis vortrug, eher seinen Verletzungen geschuldet war oder seinem Hader mit der bürokratischen Langsamkeit der eigenen Institution.

Dass es auch außerhalb des Nachlasses noch mancherlei von Schlingensief zu entdecken gibt, hat nicht nur die „Welt“ mit ihren Recherchen zu seinem musikalischen Frühwerk als Neue-Deutsche-Welle-Sänger bewiesen. Friedrich Küppersbusch brachte zwei umwerfend komische Filme mit, die Schlingensief Anfang der Neunzigerjahre für das WDR-Medienmagazin „ZAK“ gedreht hatte, und der Fernsehjournalist beschwor, dass auch die Schulfunkbeiträge des damals gerade brotlosen Künstlers eine subversive Qualität gehabt hätten, die einen Blick in die Archive des Senders lohnten.

Ein Brief des Apothekersohns Schlingensief

Neben so erwartbaren Lebenszeugen wie Schlingensiefs Witwe Aino Laberenz und seinem Verleger Helge Malchow waren in der Akademie auch Menschen, die noch ein paar ganz neue Fäden in die Legende hineinweben konnten.

Jürgen Flimm erinnerte sich daran, der Künstler für die Ruhrtriennale in mehreren hundert Metern Tiefe auf der untersten Sohle eines Kohleschachts ein Karussell aufbauen wollte. Weil das an logistischen Problem scheiterte, kam dann „nur“ die „Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ zustande, Schlingensiefs vielgeliebtes Spätwerk, die endgültige Amalgamierung von Fluxus und Katholizismus.

Äußerst sakral war offenbar auch die Aura, die Patti Smith bei Schlingensief sah. Als sie sich in Bayreuth zuerst begegnet seien, habe er zu ihr gesagt: „Come to Africa!“ Und sie sei diesem Ruf gefolgt, wie die ersten Jünger am See Genezareth, denen Jesus befohlen habe: „Folge mir nach!“.

Die Akademie singt „Because the Night“

Da war die Samstagnacht schon weit fortgeschritten und mit ihr die Heiligsprechung Schlingensiefs. Wenn nicht die Filmemacher Werner Nekes und Wim Wenders gewesen wären, hätte sich der Weihrauch vielleicht allzu erstickend verdichtet. Der erstgenannte gestand, dass er bei aller menschlichen Sympathie für seinen ehemaligen Assistenten mit dessen Kunst nie viel anfangen konnte, und er zeigte einen Ausschnitt aus seinem Werk „Johnny Flash“, in dem ein sehr junger Helge Schneider das Punkgehabe des ebenfalls sehr jungen Schlingensief verspottete.

Wenders las vor, wie der Oberhausener Apothekersohn Schlingensief 1982 beim Oberhausener Arzt Dr. Wenders anrief und diesen fragte, ob sein Sohn, der berühmte Regisseur, ihm nicht – gewissermaßen aus Klassensolidarität unter Medizinerkindern – helfen könnte, auf die Münchner Filmhochschule zu kommen.

Dieser Ausschnitt aus dem Memoiren zeigt, zu wieviel Selbstironie Schlingensief fähig war. Dass er trotzdem im Kern ein schlimmer Romantiker gewesen sei, bezeugte seine Witwe Aino Laberenz. Und diesem Romantiker hätte bestimmt gefallen, wie Patti Smith am Ende das nicht gerade jugendlich leichtsinnige Publikum in der Akademie dazu brachte, mit ihr gemeinsam eine A-cappela-Version von „Because the Night“ zu singen. Ein magischer Moment, der einen schönen, würdigen und manchmal auch würdig-unwürdigen Abend beendete.

Quelle: Die WELT vom 4.11.2012, Von Matthias Heine