„CHRISTOPH WOLLTE SEIN LEBEN LANG EINFACH ERNST GENOMMEN WERDEN“ (ZEIT)

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Aino Laberenz hat die Autobiographie ihres verstorbenen Mannes Christoph Schlingensief herausgebracht. Im Interview spricht sie über Schlingensiefs Mut und seine Ängste.

Vor zwei Jahren starb der Regisseur Christoph Schlingensief. Vor seinem Tod arbeitete der damals 49-Jährige an einem autobiographischen Blick auf sein Werk. Schlingensiefs Witwe Aino Laberenz hat diese Texte, Gesprächsprotokolle und Notizen nun als Buch herausgegeben. Den Titel: „Ich weiß, ich war’s“ wählte Christoph Schlingensief selbst.

ZEIT ONLINE: In dem Vorwort zu dem Buch: Ich weiß, ich war’s schreiben Sie, „Christoph Schlingensief empfand die Lücke als großes Glück“, was haben Sie damit gemeint?

Aino Laberenz: Beim Sortieren der Texte habe ich mich schnell entschieden, nur das Material zu verwenden, das Christoph hinterlassen hat. Das bedeutet aber, dass nicht alles biographisch erzählt wird. Da bleiben natürlich Lücken. Für mich ist es Christoph selbst, der zwar sehr genau in der Planung und im Umgang mit seinen Arbeiten war, einen präzisen Blick hatte, aber auch großen Weitblick. Er hat immer zugelassen, dass sich etwas entwickeln darf. Das bedeutet für mich Mut zur Lücke, der Mut, sich auszusetzen in seiner Arbeit.

ZEIT ONLINE: Sich aussetzen war das Grundprinzip in fast allen Inszenierungen Christoph Schlingensiefs.

Laberenz: Christoph war ein Stratege und wusste genau, was er nach außen hin sagt. Er hat sich nicht als Einzelperson ausgesetzt, sondern die Themen, die ihn interessiert haben. Was ich an ihm immer wahnsinnig spannend und beeindruckend fand, war, dass er sich nie geschont, sondern immer auch zur Debatte gestellt hat. Er bot damit natürlich auch eine große Angriffsfläche. Aber es ging ihm nicht darum, sich auszustellen. Es ist ein Missverständnis, dass man alles von ihm zu wissen glaubt und dass er fast schon das Objekt ist. Er war sehr bewusst in dem, was er bearbeitet hat. Natürlich hat es immense Kraft gekostet, sich so zur Verfügung zu stellen und angreifbar zu sein.

ZEIT ONLINE: Man braucht enorme Kraft, immer die Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem zu überspringen. Was war die Quelle dieser Kraft?

Laberenz: Es gibt offensichtlich Menschen, die haben verdammt viel Kraft. Er hatte sie auf jeden Fall. Nicht nur Kraft, für mich war es pure Lebensenergie. Aus einem Humor, aus einer Freude heraus machen zu wollen, leben zu wollen. Ich fand ihn unglaublich schnell, er hatte eine enorme Beobachtungsgabe. Woher kam diese Kraft? Er hatte sie einfach.

ZEIT ONLINE: Urkomisch lesen sich die Episoden aus Bayreuth. Haben Sie das auch so komisch erlebt oder war es einfach Notwehr gegen die Bayreuther Verhältnisse?

Laberenz: Beides. Christoph ist oft mit seinen Werken an Grenzen gestoßen. Das betrifft nicht nur Bayreuth, sondern viele Arbeiten, bei denen er mit vorhandenen Strukturen umgehen musste. Er war jemand, der nicht nur schwer erziehbar war, sondern sich auch nicht erziehen lassen wollte. Er hatte sicherlich Respekt vor Generationen, vor Kunst, vor Film, aber auf der anderen Seite bekam er sofort eine Allergie, wenn er irgendetwas beliefern sollte. Oder wenn er sich in ein System einpassen sollte. Er war an sich ein sehr charmanter Mensch, auch sehr zurückhaltend. Aber wenn er etwas wollte, dann ging es ganz banal um die Sache, und dann hat er darum gekämpft. Wenn ihm jemand gesagt hat: „Du liegst da falsch, das muss mundgerechter verpackt oder besser verkauft werden“, ging das überhaupt nicht. Auf der anderen Seite hatte er die große Qualität, allem mit einem unglaublichen Humor zu begegnen und immer auch mit einer großen Lust. Die Zeit in Bayreuth war nicht ganz so lustig, aber trotzdem ist das so passiert. Im Nachhinein verhilft sicherlich der Abstand zu besserer Laune.

ZEIT ONLINE: Im Buch kommen aber immer wieder Überlegungen vor, dass Schlingensief genau diese liebenswürdige Ausstrahlung fürchtete. Er schreibt: „Wenn ich dachte, jetzt werde ich nur noch gelobt und geliebt, musste ich das sofort brachial zerstören.“ Warum eigentlich?

Laberenz: Christoph war jemand, der sich immer selbst hinterfragt hat. Als er auf dem Höhepunkt seiner Karriere war, konnte er dem nicht trauen. Er war ein sehr misstrauischer Mensch. Christoph hat ganz jung angefangen. Er war fest überzeugt, Regisseur zu werden und hat mit acht Jahren seinen ersten Film gedreht. Er organisierte sich alle Sachen selbst, mit zwölf Jahren sogar einen Hubschrauber. Da fragt man sich, wie geht das denn? Wenn er sich etwas vorgenommen hatte, dann hat er das auch hinbekommen. Doch dann traf ihn die Reaktion der Zuschauer, die nicht verstanden, was das für eine Fantasie war. Da hieß es dann: Das ist brutal, das ist dreckig, das ist nicht die normale Filmerzählweise. Für seine Filme ist er nicht nur kritisiert, sondern auch persönlich angegriffen worden. So ist er aufgewachsen. Immer wurde ihm erzählt, dass es nicht richtig ist. Das ging bis zum Schluss. Ich glaube, er wollte sein Leben lang einfach ernst genommen werden. Und wenn er dann Zuspruch bekam, hat er dem nicht getraut.

Mit der Krankheit hat sich das verstärkt, weil dieser sentimentale Aspekt mit hineinspielte. Am Schluss hat Christoph gesagt: „Ich habe die Schnauze voll. Weil ich krank bin, wird jetzt alles so gesehen, als sei es ganz toll, was ich mache. Dabei mache ich nichts anderes als schon mein Leben lang. Diese emotionale Schmiere, die sich darüber legt, verwischt eigentlich meine Ernsthaftigkeit den Arbeiten gegenüber.“

ZEIT ONLINE: Die Auseinandersetzung mit dem Katholizismus zieht sich als roter Faden durch das Buch. Welche Rolle hat Gott in Ihrer Beziehung gespielt?

Laberenz: Christoph ist katholisch aufgewachsen. Er war zwölf Jahre lang Messdiener, das war bis zum Schluss sehr prägend. Die Auseinandersetzung mit dem Glauben sieht man auch seinen Arbeiten an. Er war aber immer offen gegenüber anderen Religionen und hat sich nicht nur dafür interessiert, sondern alles zugelassen. Er war immer ein Suchender. Ich bin evangelisch aufgewachsen, aber frei. Natürlich gab es von Anfang an Gespräche, und zwar nicht nur darüber, was nach dem Tod kommt, sondern wo wir uns eigentlich hin bewegen. Was nehmen wir auf, wo befinden wir uns? Mit der Krankheit, wenn der Tod so präsent ist, stellen sich solche Fragen noch mal ganz anders. Wir hatten bei all dem eine ähnliche Sprache. Wir wollten auch gar nicht alles beantworten. Ich habe es zum Beispiel gut verstanden, wenn er Maria, Gott oder Jesus als Figuren beschreibt. Er hat es so erklärt, dass er sie wie ein Schutzmäntelchen braucht, auch wenn er sie sich nicht vermenschlicht vorstellte.

ZEIT ONLINE: Einmal werden Sie zitiert: „Aino hat gesagt, dass Gott mich braucht.“

Laberenz: Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als ich das gesagt habe. Da saß ich auf dem Balkon und habe in den Himmel geschaut und mich dann an irgendetwas gewandt und gesagt, ich kann mir nicht vorstellen, dass Du jemanden einfach nur so leiden lässt und offensichtlich von hier wegnimmst, wenn er Dir nicht so wichtig ist, dass Du ihn vielleicht selbst bei Dir brauchst. Das war für mich auf einmal die einzige Antwort, die ich hatte.

Quelle: ZEIT ONLINE vom 26.11.2012; Interview: Simone Reber