Christoph Schlingensief galt als einer der wichtigsten Film-, Theater- und Opernregisseure der Gegenwart. 2010 starb er an Lungenkrebs. Jetzt erinnert eine umfassende Ausstellung in Berlin an das aufmüpfige Multitalent.
Berlin – Die Halle ist karg und düster. Auf sieben raumhohen Baumstämmen sitzen sieben junge Leute, stumm, fast reglos.
Den ganzen Tag sitzen sie da, lassen sich beobachten, gehen ihren Gefühlen nach. Die sieben „Säulenheiligen“ sind Teil einer Ausstellung in Berlin, die das radikale und immer wieder provozierende Werk von Christoph Schlingensief drei Jahre nach seinem Tod noch einmal lebendig werden lässt.
„Wir wollen einen Einblick in dieses Werk geben. Es ist so komplex, dass es keine komplette Retrospektive sein kann“, sagt der Chefkurator des New Yorker MoMA, Klaus Biesenbach, der die Ausstellung in den Berliner Kunst-Werken (KW Institute for Contemporary Art) zusammen mit Anna-Catharina Gebbers und Susanne Pfeffer kuratierte. Die Schau ist bis zum 19. Januar in Berlin zu sehen und soll im März in die MoMA-Dependance für zeitgenössische Kunst nach New York wandern.
Schlingensiefs Witwe Aino Laberenz hat nach Angaben von KW-Direktorin Gabriele Horn den gesamten Ausstellungsprozess als „unermüdlicher Motor“ in Fluss gehalten. „Ich freue mich extrem, dass Christophs Arbeiten wieder geöffnet werden“, sagte Laberenz am Freitag. Das Werk zeige, in wie vielen Bereichen sich der Künstler immer wieder auf die Suche gemacht habe.
Abstimmung über Asylbewerber im Container
In dem schönen alten Vierkantgebäude an der Berliner Auguststraße sind auf allen Ebenen Installationen, Filmen, Aktionen und Videos des Künstlers zu sehen, die zu seinen Lebzeiten immer wieder für Aufsehen gesorgt haben. Schon vor der Toreinfahrt wird in einem Container die umstrittene Projektwoche „Bitte liebt Österreich“ rekonstruiert, die im Jahr 2000 als offizielle Veranstaltung der Wiener Festwochen einen Skandal auslöste.
Aus Protest gegen Jörg Haiders fremdenfeindliche FPÖ hatte Schlingensief in dem Container Asylbewerber untergebracht, die per Abstimmung über das Internet zur Abschiebung freigegeben werden konnten. „Viele seiner Aktionen haben ihre aktuelle Brisanz leider nicht verloren“, sagt Kuratorin Pfeffer.
Das gilt auch für die hölzerne Kapelle „Kirche der Angst“, die zusammen mit den sieben Säulenheiligen zu Schlingensiefs Auftritt bei der Biennale in Venedig 2003 gehörte. Er setzte sich darin mit dem Irak-Krieg auseinander, den der damalige US-Präsident George W. Bush mit der Angst vor einem angeblich bevorstehenden Angriff auf die Vereinigten Staaten begründet hatte.
Operndorf in Burkina Faso
Eine riesige Fotoinstallation erinnert an das medienwirksamste Projekt des Berufsprovokateurs: Nach der Gründung der Partei „Chance 2000“ hatte er im Wahlkampf 1998 mit sechs Millionen Arbeitslosen den Urlaubsort des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl am österreichischen Wolfgangsee fluten wollen – und scheiterte grandios. Daneben gibt es eine Retrospektive mit seinen Filmen, Dokumentationen zu seiner Theater- und Opernarbeit sowie einen Einblick in das Operndorf Afrika.
Dieses Projekt im afrikanischen Burkina Faso, in dem Kunst und Leben verschmelzen sollen, war Schlingensiefs letzter großer Lebenstraum. Die Eröffnung des Dorfes mit einer Schule, später mit einer Kranken- und Geburtsstation für Menschen aus der Umgebung konnte er nicht mehr miterleben: Im August 2010 starb der Künstler mit 49 Jahren an Lungenkrebs. „Das Operndorf zeigt: Christoph Schlingensief lebt weiter“, so Kuratorin Gebbers.
Quelle: Von Nada Weigelt, dpa, 29.11.2013