Drei Jahre nach dem Tod von Christoph Schlingensief zeigen die Kunstwerke in Berlin keine Retrospektive mit Anspruch auf Vollständigkeit, sondern lassen die Facetten seines rasend-schöpferischen Werks aufblitzen. Von Marie Kaiser.
Christoph Schlingensief – der Provokateur vom Dienst? Nein, dieses Klischee bedient sie nicht, die Gesamtschau dieses unglaublich vielseitigen Künstlers, die jetzt in den Kunstwerken eröffnet hat. Sicher, Schlingensief hat immer wieder provoziert und mit seiner Kunst für Polizeieinsätze und Schlagzeilen gesorgt. Bei der Documenta wurde er sogar verhaftet, weil er mit einem Schild auftauchte, auf dem „Tötet Helmut Kohl“ stand. Aber wer Schlingensief Provokation nur um der Provokation willen unterstellt, macht es sich zu leicht.
Womit man aber immer rechnen konnte, egal ob er nun Filme drehte, Theaterstücke oder Opern inszenierte, Performances oder Installation machte, eine Partei gründete oder Fernsehshows moderierte – Schlingensief überforderte sein Publikum, wo er nur konnte, besessen davon, die Grenze zwischen Gut und Böse zum Flirren zu bringen.
Gezeigt wird aber auch der Christoph Schlingensief, der Leben und Kunst nie trennte und davon träumte, ein Opernhaus in Burkina Faso zu bauen – ein Projekt, für das seine Witwe Aino Laberenz jetzt ohne ihn weiterkämpft.
Schlingensief-Village in Berlin-Mitte
Gleich am Eingang der Kunst-Werke hängt ein von Schlingensief selbst gezeichneter Übersichtplan seines künstlerischen Universums: Seine Welt ist eine Scheibe mit ordentlich voneinander abgegrenzten Häuschen: in Schlingensief-Village gibt es eine Oper, eine Polizeistation, ein Bordell, eine Parteizentrale, ein Kino, ein Theater, Fernsehstation und nicht zu vergessen – den Asylcontainer.
Die Kunstwerke haben sich bemüht ein kleines Schlingensief-Village in Berlin-Mitte aufzubauen, nur klar strukturiert ist das nicht. Der Asylcontainer thront mitten in der Auguststraße. In einem Containerwohnzimmer mit Stehlampe läuft eine Dokumentation über die bitterböse Big-Brother-Persiflage „Bitte liebt Österreich“ aus dem Jahr 2000.
Damals baute Schlingensief in einer Wiener Einkaufsstraße ein kleines Containerdorf auf. Die Kandidaten: 12 Asylbewerber, die über Webcams beobachtet werden konnten. Die Zuschauer stimmten dann darüber ab, wer als nächstes zur Abschiebung freigegeben wird. Schlingensief selbst moderierte das Ganze als Verschnitt des österreichischen FPÖ-Rechtspopulisten Jörg Haider – und das so überzeugend, dass er wegen des Verdachts auf Volksverhetzung angezeigt wurde.
Düsternis und Reizüberflutung inklusive
Im düsteren Untergeschoss der Kunstwerke sind sieben Baumstämme aufgestellt. Auf jedem sitzt ein Mensch. Stumm gucken sie in die Luft oder lesen. Die sieben „Säulenheiligen“ erinnern an Schlingensiefs Kunstaktion während der Biennale 2003 in Venedig. Damals ließ er sieben „bekennende Arbeits-, Obdach- und Konfessionslose“ aus sieben Ländern für eine Woche auf Pfählen im Zentrum Venedigs ausharren. Dem Gewinner winkte die Aufnahme in die „Church of Fear“, einer von Schlingensief erfundenen quasi-religiösen Gemeinschaft, die ihr Heil in der Angst sucht.
In den oberen Etagen der Kunst-Werke sind der Reizüberflutung dann keine Grenzen gesetzt: Es wimmelt nur so vor Monitoren und Leinwänden. Da wird die anarchische MTV-Sendung U3000 gezeigt, in der Schlingensief die Spaßgesellschaft in einer Berliner U-Bahn ins Verderben fahren lässt. In seiner Castingshow „Freakstars 3000“ ließ er Menschen mit Behinderung im Fernsehen für eine Castingshow vorsingen.
Was bei seinen Fernsehshows wunderbar funktioniert, stößt bei seiner Arbeit als Opernregisseur bei den Bayreuther Festspielen und als Theaterregisseur an der Volksbühne an seine Grenzen: die Videomitschnitte von „Parisfal“ oder „100 Jahre CDU“ können nur einen blassen Eindruck der Inszenierungen wiedergeben.
Schlingensief-Filme im Kino
Wie gut, dass sich die Kunst-Werke entschieden haben, Christoph Schlingensiefs Spielfime nicht nur als Mehrkanalinstallation in den Ausstellungsräumen zu zeigen, sondern wie im Plan von Schlingensief-Village vorgesehen, ein kleines Kino eingerichtet haben, dort wird u.a. Schlingensiefs Trash-Horrofilm „Das deutsche Kettensägenmassaker“ gezeigt, in dem eine blutrünstige westdeutsche Metzgersfamilie in der Nacht des Mauerfalls angereiste DDR-Bürger abschlachtet.
Den Machern der Ausstellung, die sich immer eng mit Witwe von Schlingensief, Aino Laberenz, beraten haben, gelingt es in dieser ersten Schlingensief-Werkschau, alle Elemente seines ausufernden Werks aufblitzen zu lassen. Und das Wichtigste: Die Schau bleibt in ihrer Unübersichtlichkeit und erschlagenden Fülle dem Überforderungskünstler Schlingensief treu.
Quelle: rbb online vom 29.11.2013