BERLIN SCHAUT AUF CHRISTOPH SCHLINGENSIEF (DLF)

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In Berlin ist eine Gesamtschau auf das Werk von Christoph Schlingensief eröffnet worden: Filme, Theaterstücke, Opern und provokative Aktionen. Was hätte der 2010 verstorbene Künstler wohl noch alles gemacht, wenn ihm mehr Zeit geblieben wäre?

Die Neuigkeit über Schlingensief ist: diese Ausstellung. Sie ist zwar nicht die erste Überblicksschau über sein Werk, aber was auf seinen Tod im August 2010 folgte, war – einschließlich seiner Bespielung des Deutschen Pavillons auf der Biennale in Venedig 2011 – doch eher eine Reihe von Gedenkveranstaltungen. Diese Ausstellung von MoMA PS1 in New York und den Kunstwerken Berlin ist die erste, in der die Vielfalt von Werken und Tätigkeitsfeldern Schlingensiefs stärker ausgebreitet wird, filmische Projekte von seiner Frühzeit an, installative Arbeiten und Aktionen im öffentlichen Raum der späteren Jahre, auch seine Theaterprojekte werden zumindest gestreift. Ein Aspekt rückt dabei als Gegensatz zu den bisherigen Gedenkschauen in den Mittelpunkt: Während Schlingensief unmittelbar nach seinem Tod mit viel Timbre als Künstler verteidigt wurde, bezieht sich diese Ausstellung explizit auf Schlingensief in seinem ewigen „Zwischen-allen-Stühlen“-Status; auf seine Erfolglosigkeit, in einem klassischen Kunstgenre unterzukommen, „Scheitern als Chance“, auf seine Weigerung, schlussendlich selbst weder Künstler im engeren Sinn sein zu wollen. Klaus Biesenbach, der frühere Leiter der Kunstwerke Berlin, erinnert sich an Schlingensiefs berechtigte Skepsis gegenüber dem Kunstbetrieb und seine Gegenwehr gegenüber jeder Vereinnahmung. Das dürfte ein Grund dafür sein, weshalb seine Arbeit manchen heute als die „wahre“ Kunst erscheinen möchte. Schlingensief, so scheint es, lässt alle Schwellenangst vor dem Kunstbetrieb produktiv erscheinen. „Angst ist Macht“, heißt es doch in seinem Werbevideo zur „Kirche der Angst“.

„The Church of Fear says: Fear is Power! Have fear! Here is what Church of Fear members say: The Church of Fear has completely changed my life – because I suddenly realized that I had to use my fear. I own my fear. I want to give it to anybody else. I want that my fear be included by other people. It’s my fear. I want my fear. I have fear. I say ‚Yes‘ to my fear.“

Schlingensiefs Arbeiten sind nie so streng, um den formalen Kriterien eines Genres ohne Weiteres zu genügen, aber zugleich zeugen sie eben vom Willen zu einer ganz bewussten Formlosigkeit. „Scheitern als Chance“: Wenn man bemängelt, dass Schlingensief sich zu sehr mit Tagesaktualitäten, Kunst-Pointen und Mediengeschichten abgegeben hat, läuft dieser Vorwurf ins Leere, denn Schlingensief wollte ja dezidiert nie anderes machen und anderes sein, als er machte und war – wie andere sein Werk daraufhin einordnen, ist nachrangig. Niemand muss ihn auch deshalb mit akademischem Pathos als neuen Joseph Beuys verteidigen. Zuviel der Ehre für einen, der es auf solche Ehren nie abgesehen hatte.

Insofern ist diese Ausstellung für den heutigen Stand der Dinge gelungen – man begegnet noch einmal allen bekannten und Schlüsselarbeiten auf einen Schlag, vom „Kettensägenmassaker“ über den „Animatographen“ bis zum „Operndorf“ und dazu etlichen, die man in ihrer zittrigen filmischen Flüchtigkeit vielleicht noch nie gesehen hat. Der apologetische Furor der letzten Jahre ist einer eher nüchternen, interessierten Betrachtung gewichen. Einstweilen ist Schlingensief mit seinen Themen erst einmal noch immer „tagesaktuell“ – Ausländerhass, Politikverdruss, Kapitalismuskritik, Religionskampf.

Trotzdem gibt es ein methodisches Problem: Sowohl die Kunstwerke Berlin als auch das PS1 sind schließlich ausgewiesene Institutionen für Gegenwartskunst. Schlingensief hat zwar schon zu Lebzeiten in großen Museen ausgestellt, aber doch das Kunstsystem an diesen Orten stets kritisch mitgedacht. Wenn Kunstwerke und PS1 ihn posthum ausstellen und ihn nolens volens doch wieder für den Kunstbereich vereinnahmen, durchkreuzen sie damit unweigerlich ihren eigenen kuratorischen Ansatz, ihn gerade als den ewigen Außenseiter zu zeigen. Es gibt wohl kaum ein Werk der jüngsten Zeit, bei dem allein der Ausstellungsort so sehr die Deutung dieses Werkes bestimmt, wie im Fall von Christoph Schlingensief.

Von Carsten Probst, Deutschlandfunk Kultur heute / Beitrag vom 30.11.2013