KÜNSTLER CHRISTOPH SCHLINGENSIEF IST NOCH IMMER ÜBERALL (BERLINER MORGENPOST)

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Was ist von ihm geblieben? Drei Jahre nach seinem Tod gibt es in Berlin in den Kunstwerken an der Auguststraße eine Schau über den Ausnahmekünstler Christoph Schlingensief. Von Gabriela Walde

MoPo

Jetzt, drei Jahre nach seinem Krebstod, endlich, möchte man sagen, will eine Retrospektive in den Kunstwerken an Christoph Schlingensief erinnern. Aufzeigen, welche Maßstäbe sein Werk gesetzt hat, das so radikal und oft brutal wie kaum ein anderes Kunst und Politik verzahnte. Die erste Frage, die uns umtreibt, als wir uns den Kunstwerken nähern ist also: Kann man Christoph Schlingensief musealisieren?

Entkommt das Werk posthum einer Verklärung? Läuft es Gefahr sich vereinnahmen zu lassen von einer Institution? Oder wird es gar eine Totenmesse? Und hat nicht all seine Kunst vor allem gelebt durch ihn, dem charismatischen Schamanen mit dem so bubenhaften Gesicht?

Straftat oder Aktion?

Schon bei Eintritt in den gepflasterten Hof der Kunstwerke ist dann alles anders – und wir sind mitten drin in Schlingensiefs schlingerndem, raumgreifendem Universum. Ein Muezzin ruft laut zum Gebet in der weißen „Church of Fear“, die mitten im Weg steht. „Wir glauben nichts mehr!“ steht da und „Wir haben Angst“. Gleich am Entree stehen zwei gestapelte Container, oben auf einem riesigen Schild der Schriftzug: „Ausländer raus“. Ein Big-Brother-Relikt einer Polit-Aktion aus Österreich.

Die Tür ist offen, drin wird diskutiert über Rechte, Flüchtlinge, FPÖ und alles rund ums Thema. Aino Laberenz, Schlingensiefs Witwe, rennt umher, quer über den Hof, Treppe runter, Treppe wieder rauf. So als würde sie ihren Christoph suchen. Und komisch, irgendwie ist er präsent, auch wenn ihn jeder an vielleicht anderer Stelle findet. Im Flur des Ausstellungshauses schreit er genervt aus der dritten Etage: „Super ist es hier oben, warum kommt ihr denn nicht rauf?!“

Wie war nun seine Kunst? Schlingensief wollte, das Kunst lebt, atmet, jeden Tag, jede Minute, jede verdammte Sekunde. Die Grenzen zwischen den Gattungen, die gab es für ihn nicht. Folgerichtig, bei ihm war ja nichts zu trennen, nicht die Kunst vom Leben und umgekehrt, das war ihm nicht möglich. Klaus Biesenbach, der mitkuratiert hat und Schlingensief aus den 90er Jahren kannte als der in den Kunstwerken temporär eine Wohnung hatte, erinnert sich, wie schwer es war mit dessen Werken.

War es Kunst? Leben? Eine Straftat oder eine Bühnenaktion? Das wusste manchmal weder er, die Polizei noch der Richter. „Diese Fragen zogen sich durch unsere Zusammenarbeit“, erzählt Biesenbach.

So war es: Schlingensief wurde gehasst („Tötet Kohl! Tötet Möllemann!“), er wurde gefeiert, später, als er krank wurde, hatten ihn irgendwie alle lieb. Er fing mit dem Film an, dem „Kettensägenmassaker“, wo eine Metzgerfamilie in der Vereinigungseuphorie Ossis zersägt, kam von der Container-Aktion zum Theater, zog auch irre Kreise in den in den Weiten des Internets, stieg auf der Biennale in Venedig auf hölzerne Pfähle und wurde in Bayreuth mit dem Parsifal im Tempel der Hochkultur empfangen.

Störfall im Kulturbetrieb

Schließlich war er ein öffentlich legitimierter „Störfall“ im Kulturbetrieb. Am Ende gab es für ihn ein Paradies, und das hieß Afrika. Drei Kuratoren und Aino Laberenz haben die Schau betreut. Das hat ihr gut getan, wohl auch der zeitliche Abstand zu seinem Tod. Der Blick auf das Werk ist klar, präzise strukturiert schälen sich hier Motive, Leitideen und Entwicklungen im riesigen Oeuvre heraus.

Wäre die Ausstellung ein Film, würde man sagen, die Bilder sind schnell und hart geschnitten. Politische Aktionen, Filme und im magischen Zentrum der großen Halle der gigantische Animatograph. Eine Drehbühne, in die jeder hineingehen kann. Alles einzeln oder alles zusammen – hier fließen die Dinge zusammen. Deutlich wird auch, wie bildnerisch Schlingensief gearbeitet hat, dass die Verbindung zur bildenden Kunst enger ist, als man dachte. Dass sein Werk immer noch aktuell ist und für sich alleine funktioniert. Allerdings kommt das Theater zu kurz, allein Plakate an der Wand erzählen von den Volksbühnen-Inszenierungen.

„Ich habe nicht mehr viel zu sagen“, meint am Ende der Pressekonferenz Aino Laberenz. Muss sie auch nicht. Schlingensiefs Kunst lebt, und immer weiter. Wer hätte das gedacht, in seinem Operndorf in Burkina Faso gehen mittlerweile 150 Kinder zur Schule.

Kunstwerke, Auguststr. 69, Mitte
Eröffnung: an diesem Sonnabend (30. November 2013), 17 – 22 Uhr. Mi – Mo 12 – 19 Uhr. Do 12 – 21 Uhr. Bis 19. Januar 2014.

Quelle: Berliner Morgenpost vom 30.11.13