CHRISTOPH SCHLINGENSIEF-RETROSPEKTIVE (RBB)

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Filme, Theaterstücke, Opern, Performances und Installationen – Christoph Schlingensief war einer der vielseitigsten Künstler der Nachkriegszeit. Und einer der provakativsten. Was bleibt von ihm? Die erste Gesamtschau über Schlingensief versucht darauf eine Antwort zu geben.

Erste Retrospektive zur Arbeit des Künstlers – Schlingensief – Werkschau eines Profi-Provokateurs

Er war Theater-, Film- und Opernregisseur, Performer, Aktivist und Parteigründer – Christoph Schlingensief gilt als einer der vielseitigsten zeitgenössischen Künstler. Und einer der provokativsten. Drei Jahre nach seinem Krebstod eröffnet in den Berliner „Kunst-Werken“ nun die erste Schlingensief-Gesamtschau. Von Andrea Marshall.

Christoph Schlingensief gilt als einer der bemerkenswertesten, aber auch umstrittensten Vertreter des deutschsprachigen Kultur- und Medienbetriebs. Er wurde als „heiliger Narr und genialer Wüterich verehrt und als zynischer Provokateur verachtet“, wie der „Spiegel“ schrieb. Man lobte seine Fähigkeit zur öffentlichen Irritation – oder lehnte ihn als begnadeten Selbstdarsteller ab.

Auftrag: Gesellschaftliche Einmischung

Ausschnitte aus Schlingensiefs Werk und seinen künstlerischen Stationen werden ab Samstagabend nun erstmals als Gesamtschau im Institute for Contemporary Art der Berliner „Kunst Werke“ in der Auguststraße gezeigt. Ab März 2014 soll die Schau im New Yorker Museum of Modern Art (MoMa) zu sehen sein.

MoMa-Chefkurator und Gründer der Berliner „Kunst-Werke“ Klaus Biesenbach hat die Werkschau zusammen mit Anna-Catharina Gebbers, Susanne Pfeffer und Schlingensiefs Witwe Aino Laberenz zusammengestellt. Man wolle zeigen, dass der Künstler einen „Auftrag hatte, ein Menschenbild“, sagte Biesenbach dem rbb. „Alle seine Arbeiten haben eine ungeheure inhaltliche Klarheit: Was ist es, was ich als Bürger heute tun muss, um mich in der Gesellschaft produktiv zu zeigen.“

Für Aino Laberenz soll die Gesamtschau vor allem die Spannbreite des künstlerischen Schaffens zeigen – und dazu Schlingensiefs Werdegang. „Wir versuchen eine Grätsche – man kann in die Arbeit eintreten, aber auch etwas über den Künstler erfahren“, sagte sie dem rbb am Freitag. „Man sieht, dass Christoph die ganze Zeit in Bewegung war“.

Die Bühnenbildnerin Laberenz verwaltet nicht nur den Nachlass ihres verstorbenen Mannes. Sie hat auch Bücher über ihn herausgegeben, eine noch von ihm selbst geplante Ausstellung im Biennale-Pavillon in Venedig vollendet – und sie betreut das Operndorf in Afrika.

Enfant Terrible zwischen Flucht und Applaus

Der 1960 in Oberhausen geborene Schlingensief hatte zunächst Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre teils heftige Kontroversen mit seinen Trash-Filmen ausgelöst. In „Das deutsche Kettensägenmassaker“ etwa verarbeitete er sein Leiden an der deutschen Wiedervereinigung.

Seine später unter anderem an der Berliner Volksbühne inszenierten Theaterstücke animierten das Publikum teils zu begeistertem Applaus, teils zur Flucht. 1997 kam es zur Verhaftung Schlingensiefs, nachdem dieser bei der Kasseler documenta bei einer Kunstaktion ein Plakat mit der Aufschrift „Tötet Helmut Kohl!“ verwendete.

Bundestag und Wagner-Opern

Schlingensief mischte sich auch direkt politisch ein. Für eine Aktion in Wien gegen die ausländerfeindliche Politik des Jörg Haider ließ der Künstler Baucontainer aufstellen, aus denen das Publikum nach dem „Big Brother“-Prinzip Asylbewerber „herausgewählte“. Bei der Bundestagswahl 1998 trat er mit seiner neu gegründeten „Partei der Arbeitslosen und von der Gesellschaft Ausgegrenzten“ an, erzielte aber nicht genug Stimmen für einen Einzug ins Parlament.

Dafür schafft er es bis in den Olymp der deutschen Hochkultur: 2004 inszenierte er Wagners „Parzifal“ in Bayreuth. Auch in Berlin, Bonn, Manaus (Brasilien) und anderen Städten zeigte er (Wagner-)Opern; in Burkina Faso im westlichen Afrika initiierte er das „Opern-Dorf“ mit Festspielhaus.

Zuletzt erregte Schlingensiefs öffentliche Auseinandersetzung mit seiner eigenen Krebserkrankung Aufsehen. Im August 2010 erlag der Künstler dem Lungenkrebs – mit 49 Jahren.

Schlingensief-Retrospektive
01.12.2013-19.01.2014

KW Institute for Contemporary Art
Kunst-Werke Berlin e.V.
Auguststraße 69
10117 Berlin-Mitte

Öffnungszeiten:
Mi-Mo 12-19 Uhr
Do 12-21 Uhr

Eintritt:
6 Euro / ermäßigt 4 Euro

Aus: rbb Stilbruch vom 28.11.13 22:15