Die Neue Züricher Zeitung über die Schlingensief-Ausstellung in den Berliner KunstWerken
von Dirk Pilz
Diese Ausstellung hätte es bereits vor zwei Jahren geben sollen. Aber damals wollte man nicht dem deutschen Pavillon von Christoph Schlingensief bei der Kunstbiennale Venedig Konkurrenz machen. Nichts sollte an medialer Aufmerksamkeit verloren gehen. Also hat man gewartet – und jetzt die erste grosse Schau zu Schlingensiefs Schaffen in den Berliner Kunst-Werken eröffnet. Schon damals, im Juni 2011, als sein Pavillon den Goldenen Löwen gewann, wurde Schlingensief einhellig gefeiert. Daran hat sich nichts geändert.
Das war allerdings nicht immer so. Jahrzehntelang wurde Schlingensief als Provokationskasper oder Chaot verunglimpft. Denn seine Arbeiten verweigerten sich hartnäckig den üblichen Kategorien. Filme wie «Das deutsche Kettensägenmassaker» (1990) oder «Die 120 Tage von Bottrop» (1997) wirkten zu ungeschlacht, um auf Gefallen im Kunstbetrieb zu stossen; seine Theaterinszenierungen wie «Rocky Dutschke» an der Berliner Volksbühne (1996) oder der Zürcher «Hamlet» (2001) griffen zu unverblümt die allgemeinen Bewusstseinshaushalte an, um in den gängigen Vorstellungen von Theater aufgehen zu können. Schlingensief verunsicherte sein Publikum, weil er immer offenliess, ob es sich bei seinen Aktionen, Inszenierungen, Filmen und Happenings um Kunst oder Agitation, Narretei oder Nonsense handelte. Als Künstler ernst genommen wurde er erst in seinen letzten Lebensjahren, vor allem nachdem er seine Krebserkrankung mit so irritierend intensiven und privaten Aufführungen wie «Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir» bei der Ruhrtriennale 2008 und mit «Mea Culpa» am Burgtheater 2009 öffentlich gemacht hatte. Sein Arbeitsmotto dabei: «Rein ins Leben!»
Es ist das grosse Verdienst dieser noch von Schlingensief selbst initiierten Ausstellung, zumindest eine Ahnung solcher Irritationen ins Museum gerettet zu haben. In einem grossen Raum des mehrstöckigen Gebäudes in Berlin-Mitte trifft der Besucher hier auf echte Menschen, die auf Pfählen sitzen. Erinnert wird damit an Schlingensiefs Venediger «Church of Fear». Ein schöner Coup: im Museum sein und der Lebendigkeit der Kunst begegnen. Die Pfähle umstellen den «Animatographen», eine Installation auf einer Drehbühne, die man durchwandern kann. 2006, als dieses Werk in Berlin Station machte, wirkte es seltsam leer, jetzt dagegen kommt es einem wie die Gestalt gewordene Grundgeste der Schlingensief-Kunst vor – sie drückt vor allem eine Sehnsucht nach Eindeutigkeit und Erlösung aus, steht für die verzweifelte Suche nach Auswegen aus den Gefängnissen der Kunst und des eigenen Lebens.
In den anderen Räumen: viele Fernseher, die Ausschnitte aus Schlingensiefs TV-Shows wie «U 3000» (2001) oder «Talk 2000» zeigen. An einer Wand hängt ein Banner seiner einstigen Partei Chance 2000, in einer Vitrine liegt der berühmte Bayreuther Stoffhase, der in der «Parsifal»-Inszenierung (2004) mitspielte, ein eigener Raum stellt das Operndorf in Burkina Faso vor. Das sind kaum mehr als Schnipsel aus einem unüberschaubaren Werk. Eine Retrospektive ist die von Anna-Catharina Gebbers, Susanne Pfeffer und Klaus Biesenbach umsichtig kuratierte Schau nicht, den Anspruch eines repräsentativen Überblicks will sie nicht erfüllen müssen. Aber sie vermittelt einen Eindruck davon, warum diese Kunst auf so viel Ablehnung stiess und dennoch keine Ruhe liess. Und sie versucht damit, das Schlingensief-Schaffen vor der Musealisierung zu bewahren.
Aus: NZZ vom 16.12.2013