Aino Laberenz verwaltet den Künstler-Nachlass. Das Operndorf bekommt einen Berlin-Ableger
Von Volker Blech
„Wie mutig er eigentlich war“, sagt Aino Laberenz, das wisse sie heute erst. Über vieles hat sie seit dem Tod von Christoph Schlingensief im August 2010 nachgedacht. Wie er immer wieder alles untersucht habe, unnachgiebig und unbestechlich ehrlich. Und überhaupt seine Einsichten in die Kunst, die weit mehr als nur Oberfläche sind. Aino Laberenz war die Frau des Berliner Multikünstlers – und sie verwaltet heute seinen Nachlass. Was zweifellos kein leichtes Erbe ist. Dazu gehört auch das Operndorf Afrika, dessen Entstehung Schlingensief in seinen letzten Schaffensjahren vorangetrieben hat. „Christoph war es ein wahnsinniges Anliegen, afrikanischen Künstlern in Deutschland eine Plattform zu geben“, sagt sie.
Schlingensief hatte mit Fernsehsendern und Bühnen verhandelt, damit sie Afrikanern Platz für ihre Kunst frei räumen. Damit in Deutschland Bilder aus Afrika gezeigt würden, die von Afrikanern gemacht seien. Das Operndorf sollte kein deutscher Kulturexport nach Afrika sein. „Christoph ist kein Missionar“, sagt Aino Laberenz. Sie benutzt das Präsens und kurzzeitig taucht das Gefühl auf, Schlingensief sitzt mit am Tisch bei diesem Gespräch. Das findet in einem Café im Prenzlauer Berg statt, denn es gibt Neues zu berichten rund ums Operndorf. Aber dazu muss man wieder einmal der Schlingensief-Karawane um drei Ecken folgen.
Mehr als Trommeln und Tanzen
In Berlin beginnt heute ein dreitägiges afrikanisches Festival mit dem Titel „Im Exil: Festival au Désert“. Das findet in der Volksbühne, der Akademie der Künste und im Kino Babylon statt, also an honorigen Orten. Das Festival von Timbuktu selbst soll das bedeutendste Musikfestival Westafrikas sein und rund 5000 Besucher haben. Aber Mali steckt gerade in politisch-religiöser Unruhe und so klopften die Musiker der TuaregNomaden beim Operndorf im benachbarten Burkina Faso an. Sie nennen es Exil und ihre Gastspiele eine Karawane des Friedens. Ein Konzert an der Volksbühne beschließt das Berliner „Exil“-Festival am Freitag, heute wird es mit der Kinovorführung von Désirée von Trothas Film „Woodstock in Timbuktu“ eröffnet, morgen folgt eine Podiumsdiskussion auch darüber, dass die afrikanische Kunst mehr als Singen, Trommeln und Tanzen ist.
Aino Laberenz spricht allerdings kaum über afrikanische Kunst, sie hat sich als Geschäftsführerin des Operndorfes, einer gemeinnützigen GmbH, mit weit bodenständigeren Dingen auseinanderzusetzen. Mit großem Musiktheater, wie der Name verheißt, hat das Entwicklungsprojekt eigentlich nichts zu tun. „Christoph hat doch immer den erweiterten Opernbegriff vertreten“, sagt sie. Hört man ihre Erzählungen über die Ideenfindung, dann mag das aus heutiger Sicht romantisch-tragische Züge tragen. Ein junges Künstlerehepaar, er schwer erkrankt und ständig mit dem Thema Tod und Erlösung befasst, reist durch mehrere Länder Afrikas, dorthin, wo die Wiege der Menschheit stand, um schließlich im kleinen Burkina Faso einen geeigneten Platz für das Operndorf zu finden. Ein halbes Jahr nach der Grundsteinlegung verstirbt er an seinem Krebsleiden.
Das Operndorf liegt 40 bis 50 Autominuten von der Hauptstadt Ouagadougou entfernt in einer ländlichen Region. Das sollte so sein. Aino Laberenz weiß um den Erwartungsdruck, der auf ihr lastet. Von allen Seiten. „Die Schwierigkeit ist, dass Christoph nicht mehr da ist.“ Sie spricht davon, alles „Schritt für Schritt“ zu machen. Der kulturelle Begegnungsort entsteht in drei Stufen. Im ersten Abschnitt wurden etwa die Schule und Lehrerwohnungen errichtet. Die Kinder kommen aus bis zu sechs Kilometer Umgebung. „Es gibt ein reges Leben im Dorf“, sagt sie, aber es werde niemand umgesiedelt. Wer sich ansiedeln will, kann es tun. Im zweiten Schritt wurde gerade eine Krankenstation errichtet, die dem Gesundheitsministerium übergeben wird. Erst in der dritten Bauphase entsteht das „Festspielhaus“, der Begegnungsort der Künste.
Natürlich erinnert das Modell und der Name an Richard Wagners Festspielhaus in Bayreuth, dort, wo Schlingensief als Opernregisseur mit dem „Parsifal“ gerungen hat. Auch in Afrika geht es um eine Art Gesamtkunstwerk. Aber Aino Laberenz findet Vergleiche mit Bayreuth, zumal den dynastischen Gedanken im Führungsanspruch, sehr abwegig. Christoph hätte den Ort in Afrika auch deswegen gut gefunden, „weil dort niemand wusste, wer Schlingensief ist“. Und was die Oper angeht, gibt es keinerlei Pläne. „Aber wenn die Leute vor Ort das wollen“, so Aino Laberenz, „dann können sie es tun.“
Ausstellung in den Kunstwerken
Möglicherweise wird sie, die junge Witwe, als Geschäftsführerin sogar unterschätzt wegen ihrer Zartheit und Zurückhaltung. Dabei lässt ihre eigene Geschichte und die ihrer Familie auf eine Mischung aus Gestaltungswillen und Fernweh schließen. Ihr Vater Werner Laberenz war Gymnasiallehrer, der 1977 für fünf Jahre als Dozent nach Finnland ging. Deshalb wurde Tochter Aino 1981 in Turku geboren. Später wurde ihr Vater der erste hauptamtliche Bürgermeister von Wetter an der Ruhr. Jetzt stampft seine Tochter gerade ein Dorf in Afrika aus dem Boden. „Aber ich musste erst lernen rauszugehen“, sagt sie: „Ich bin keine Rampensau und will das auch nicht sein.“
Auch ihr künstlerischer Werdegang lässt auf Fernweh schließen. „Wie sich alle die Welt entdecken“, sagt sie. Das Kunstgeschichtsstudium unterbrach sie schnell wieder, um ein Theaterpraktikum in Bochum zu machen. Schließlich wurde eine Kostüm- und Bühnenbildnerin aus ihr. Dann ging sie nach Zürich, wo ihr Schlingensief begegnete. Sie wurde die filigrane, stille Frau an der Seite des egomanischen Künstlers, dessen Rastlosigkeit und Provokation alle Aufmerksamkeit auf sich zog.
Jetzt führt sie sein Erbe weiter. „Christoph war jemand, der hinterlassen wollte“, sagt sie, er habe schon früh ein Archiv angelegt. Zusammen mit der Kuratorin Susanne Gaensheimer gestaltete Aino Laberenz den deutschen Pavillon bei der Biennale in Venedig. Noch bis zum 19. Januar läuft in den Berliner Kunstwerken eine erste Gesamtschau des Werkes von Christoph Schlingensief. Die Ausstellung wird sie anschließend ins MoMA nach New York begleiten.
Festival Im Exil: Festival au Désert. Im Kino Babylon wird am 8.1. um 19.45 Uhr der Film „Woodstock in Timbuktu“ gezeigt. In der Akademie der Künste am Pariser Platz findet am 9.1. ab 18 Uhr ein Publikumsgespräch und eine Podiumsdiskussion über Afrika jenseits von Klischees statt. In die Volksbühne lädt am 10.1. um 20 Uhr ein Konzert u.a. mit dem Orchestre Amanar de Kidal, Khaira Arby sowie der Sängerin Nneka mit Band.
Quelle: Berliner Morgenpost vom 8.1.2014