Das „Operndorf“ in Burkina Faso wächst. Es wurde von dem inzwischen verstorbenen Regisseur geplant.
Man ist froh, die staub- und abgasgeschwängerte Luft der 1,9 Millionen Metropole Ouagadougou hinter sich gelassen zu haben. Hier fragt keiner nach Mensch- und Umweltbelastung durch Smog, Staub und ungefilterte Abgase. Tausende Mofas, Autos, die in Europa schon längst verschrottet wären, und überladene Klein- und Großtransporter schieben sich in die und aus der Stadt. Die Überschreitung der Feinstaubwerte, wie in Paris oder Peking, sind hier kein Thema. Aber immer mehr Menschen müssen Mund- und Nasenschutzmasken tragen, um sich zu schützen.
Wir, fünf Vertreter der christlichen Hilfsorganisation „Pro Burkinabé“, sind Richtung Nigeria nach Osten Burkina Fasos unterwegs. Nach ca. 40 km haben wir die Abzweigung zum Skulpturenpark Laongo erreicht. Diese sehenswerten „Sculptures de Laongo“, zwischen den Orten Zinaré und Boudtenga gelegen, sind nahe unserem Besuchsobjekt, welches wir vor zwei Jahren besichtigen konnten und dessen Entwicklung nicht nur wir mit Interesse von Deutschland aus verfolgen. Ein kleines Schild mit dem schneckenförmigen Signet des Opernhauses weist uns den Weg über die rot gefärbte staubige Sandpiste. Hier soll Christoph Schlingensiefs Traum von einem Operndorf in einer Savanne des zu den ärmsten Ländern der Welt zählenden Binnenstaates Wirklichkeit werden.
2012 wurden wir Zeuge der Inbetriebnahme des ersten Klassenzimmers für eine Grundschule, die der gesamten dörflichen Region zur Verfügung stehen soll. 50 junge Burkinabé wurden damals eingeschult. Auf den ersten Blick hat sich nicht viel geändert. Unverändert die klimatechnisch optimierten Räume der Schulgebäude mit den eleganten Doppeldächern und die Gruppe der Administrationshäuser. In der von der Savanne aufgenommenen dunkelroten Farbe und einer einzigartigen Architektur des Freundes Schlingensiefs, des preisgekrönten Architekten, Francis Kéré, der als Einheimischer ursprünglich dem Projekt sehr kritisch gegenüberstand. Man sieht aber jetzt, wie sich Kéré in das Projekt reingegeben hat und die Vorstellungen Schlingensiefs mit seinem Wissen als Afrikaner umsetzt. Christophs Idee war ja nicht, ein klassisches Opernhaus zu bauen. Er dachte weiter. Und so wird es umgesetzt: als Entwicklungshilfeprojekt für Land und Leute und als künftige Wirkungssstätte für Companies und Theaterensembles. Zuvorderst ausgerichtet auf das, was die Menschen dort besonders brauchen.
Wie begeistert waren wir, eine vierköpfige deutsche Studentengruppe vorzufinden, die Theaterszenen und Lieder mit den Grundschulkindern einübten. Und von einer Fotoklasse zu hören. Und zu erfahren, dass jetzt in drei Schulklassen unterrichtet wird und drei weitere Klassen geplant sind. Keine privilegierten Kinder; nein, Kinder, die aus den fünf umliegenden Dörfern kommen, in denen Armut und Bescheidenheit herrschen. Die Kinder begeistert und freudig zu erleben, mit der Möglichkeit, sich eigenständig künstlerisch auszudrücken. Festzustellen, wie die natürliche Spielfreude der jungen Burkinabé gefördert wird.
Vor zwei Jahren erfuhren wir von der weitergehenden Planung, eine Krankenstation und ein Hotel zu errichten. Wie überrascht waren wir bei unserem Rundgang, ein von außen fertiges Hospital mit vielen kleinen Fenstern in ganz interessanter moderner Architektur vorzufinden. Es war zum Staunen. Wie wichtig sind in diesem Land Kranken- und Entbindungsstationen, wo auf 25 000 Einwohner ein Arzt tätig ist! Bevor das überdachte Opernhaus entsteht, wird als Nächstes das Gästehaus mit Restaurationsbetrieb gebaut. Das eigentliche schneckenförmig angelegte künftige Theater ist nur anhand der Absteckungen zu erkennen. Es wird das Zentrum der Anlage darstellen.
So ist nun auf den von der Regierung zur Verfügung gestellten 14 Hektar Land ein kleines Dorf entstanden. Schule und Werkstätten, Wohn-, Administrations- und Gästehäuser sowie eine lebenswichtige Kranken- und Entbindungsstation. Ein Projekt, das Leben und Kunst zusammenführen soll. Der Traum Christoph Schlingensiefs ist noch nicht ausgeträumt. Lob und Anerkennung gelten seiner Lebenspartnerin Aino Laberenz, dem Architekten Francis Kéré und dem ganzen Bau- und Beraterteam. Was als nicht realisierbare Künstlerfantasie apostrophiert war, hat sich zu einem realen Entwicklungsprojekt und perspektivischen Künstlerzentrum ausgewachsen.
Text und Foto: Rainer Kotz
Quelle: Südkurier vom 25.04.2014