Es ist eine Verbeugung vor dem amerikanischen Altmeister des Happenings, Allan Kaprow, mit Jenny Elvers-Elbertzhagen («Knallhart») als herumgeisternde Lady Di
Von W. Mommert
«Diana-Elvers» in der Psychiatrie oder im drehbaren Flakturm: Christoph Schlingensiefs apokalyptisches Welttheater dreht die nächste Runde – von der Villa Wahnfried bis zum «Royal Ritz WC» in London. Da war «Parsifal» nur ein Vorspiel.
Am Mittwoch hatte Schlingensiefs neues Theaterprojekt, ein einziges Therapiezimmer mit dem Titel «Kaprow City», an der Berliner Volksbühne Premiere. Es ist eine Verbeugung vor dem amerikanischen Altmeister des Happenings, Allan Kaprow, mit Jenny Elvers-Elbertzhagen («Knallhart») als herumgeisternde Lady Di.
Im Vorfeld war darüber spekuliert worden, ob das Andenken der 1997 tödlich verunglückten britischen Prinzessin verunglimpft werden könnte. Davon war keine Rede mehr. Elvers war weitgehend sprachlos und zitierte sich selbst – als Medienikone und, wenn auch melancholisches, schönes Scheinbild mancher Illusionen. Nach zwei Stunden war das Theater-Panoptikum in 18 Kabinen-Guckkästen einer Drehbühne, eine von den Zuschauern «begehbare Installation», wie Schlingensief seinen «Animatographen» nannte, zu Ende. Es gab kurzen Beifall eines irritierten oder auch nur amüsierten Publikums, darunter der Präsident der Berliner Akademie der Künste, Klaus Staeck, und ein sichtlich staunender Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD).
Schlingensief dirigierte das Geschehen die ganze Zeit über auf der Bühne hinter seinem Regiepult und an mehreren Monitoren – Ball paradox sozusagen, der Regisseur auch als Beobachter der agierenden Zuschauer auf der Bühne, der Rest saß im Zuschauerraum und beobachtete wiederum die verwirrende Gemengelage auf der Bühne oder der Großleinwand.
Es ist eine einzige Performance, ein Mix aus Videofilmen und Schauspielerauftritten «in echt», die den Theaterbesuchern auf der Drehbühne auch mal zwischen die Beine kriechen. Für Schlingensief («100 Jahre Adolf Hitler») ist es der Auftakt einer Trilogie über «Transformation, Vergessen, Übermalen und Wiederholungen», an der er auch noch in London und New York arbeiten will. «Ich bin Übermaler meiner selbst.» Nach seiner Bilderflut im Bayreuther «Parsifal», die fast die Musik erschlug, übertrifft sich Schlingensief bei «Kaprow City» noch einmal und konfrontiert – und überfordert meist – den Zuschauer, der ja auch Teilnehmer sein soll, mit seiner Flut von Assoziationen und grellen Bildeinfällen.
Ein Richard Wagner mit Hakenkreuz-Armbinde lädt in seine Villa Wahnfried ein («Hier wo mein Wähnen Frieden fand»). Die Queen geistert – in Gestalt einer der kleinwüchsigen, zum Teil auch behinderten Darsteller aus Schlingensiefs Truppe – durch die Szene, reckt auf einem Videoschirm auch mal den Arm in NS-verdächtiger Pose oder rollt Kuchenteig für kleine Hakenkreuz-Brezeln.
Johannes Heesters‘ Double putzt sich im Schaukelstuhl die Zähne, ein Kruzifix wird als Schlagstock benutzt und zwischendurch ertönen wilde Schreie, Röcheln und Erbrechen oder Rufe wie «Jetzt kotz mal!» oder «Mir reicht’s!» – ob von Darstellern, Zuschauern oder Regisseur ist nicht immer ersichtlich. «Diana-Elvers», im schicken engen, ärmellosen schwarzen Abendkleid und mit hohen Stöckelschuhen, sitzt teils Bücher lesend neben einem offenen WC-Becken oder schiebt den Rocksaum hoch, wenn Dodi al-Fayed als traumatischer Wiedergänger sein Hemd herunterreißt und einen wilden Tanz mit ihr hinlegt. Über einen Lautsprecher berichtet ein aufgeregter BBC-Nachrichtensprecher von dem tödlichen Autounfall Dianas in Paris, während auf einem Bildschirm der leere Pariser Autotunnel immer wieder durchfahren wird.
Der 45-jährige Schlingensief nimmt in einer Programmheftanleitung mögliche Kritiker- und Publikumsreaktion schon vorweg und erwartet wieder «Hass, der auf mich abgewälzt wird», nach dem Motto «der verwirklicht sich ja nur selbst, erzählt narzisstisch nur von sich». Schlingensief weiß, «ich werde eben nicht erlöst» und spricht im Programmheft auch mit sich selbst: «Pass auf Alter, wenn du so weiter machst wie bisher, wird das nix mehr.» «Kaprow City» jedenfalls ist nach seinem eigenen Bekunden «so theaterabsagend wie noch nie».
14.9.2006