Christoph Schlingensiefs neues Stück setzt auf Spekulation, nicht Provokation
Von Katrin Bettina Müller
Jenny Elvers spielt Lady Di – klar, dass es schon im Vorfeld Theater gab. Das englische Königshaus ließ „Kaprow City“ aber nicht verbieten. Warum auch: Christoph Schlingensiefs neues Stück setzt auf Spekulation, nicht Provokation.
Man traut ihm inzwischen einiges zu – am Ende sogar die Zertrümmerung des Theaters und dessen vollständige Ersetzung durch den Skandal. Christoph Schlingensief hat sich diesen Ruf eingehandelt, weil seinen Stücken und Installationen stets vollmundige Ankündigungen vorausgehen. Auch „Kaprow City“ war für aufregende Vorabmeldungen gut: zum Beispiel, dass die blonde Schauspielerin Jenny Elvers für die Rolle der Lady Di gecastet wurde; dass ein Film gedreht wird und dass, alarmierte „Bild“ , Mitglieder des englischen Königshauses „Schlingensiefs Diana-Stück verbieten“. Perfekte Vorarbeit des Boulevard: Einen besseren Presseagenten könnte Schlingensief gar nicht haben.
„Kaprow City“-Bühnenraum (Ausschnitt): Deutungsangebote en masse
Man ahnt es schon: Auf dieser Klaviatur des Sensationellen spielt „Kaprow City“, seit gestern in der Volksbühne zu sehen, weiter. Allerdings geht es in dieser Installation, die wie ein Karussell aus vielen geheimen Kammern auf einer Drehbühne aufgebaut ist, zwar um das Spektakel und seine Inszenierung, aber skandalös ist das alles nicht.
Ein kritisches Resümee könnte lauten: Es geht um das Making-of der öffentlichen Aufregung, um die Reflektion der gelenkten Blicke, um das Spiel mit gesteuerten Sehnsüchten. Aber bis man zu so einem Schluss kommen kann, braucht es Abstand und Zeit. Denn als Besucher von „Kaprow City“ fühlt man sich erst einmal um alles betrogen: die Bilder, das Theater, Lady Di – wo ist das alles hin? Wie ein Zaungast, der stets an den Rand des gesellschaftlich Relevanten gedrängt wird, leidet man unter dem Gefühl, das Eigentliche zu verpassen.
Weg da!
„Die Gedanken verschwinden, wie die Wurst im Spinde“, ist einer der Sätze, die man aufschnappt. Das passt. Das Verschwinden funktioniert hier schneller als das Auftauchen. Zum Beispiel sind die über 20 Darsteller, unter ihnen viele Schlingensief-Veteranen, die er dem Publikum am Anfang vorstellt, in den unübersichtlichten Kammern des großen Karussells verschwunden. Auch ein Teil der Zuschauer wird von dieser geheimnisvollen Maschine verschluckt. Andere sitzen vor einem eisernen Vorhang und sehen die Bilder, die irgendwo im Inneren dieses kreiselnden Studios gedreht werden.
Eine dritte Gruppe von Besuchern muss hinter der Installation Platz nehmen, am sogenannten „Horizont“. Da hat man Zeit, die Hülle von „Kaprow City“, die Außenseite der Installation zu studieren, die mit Bildern und Texten bemalt und beschrieben ist. Totenschädel, Wasserspeier, Mumien- und Unfallgesichter ziehen vorbei; aha, hier kommt der „Prinzessinen-Tunnel“. Innen steht ein Bett, mit Reifen und Mercedesstern zum Bild eines Autos umgebaut.
Vorne am Bettgestell, pardon, an der Kühlerhaube, hängt ein Kranz. Das sei eine Trophäe aus einem Wettrennen, erzählt später, wenn man endlich die Installation selbst betreten hat, ein im Bett liegender Darsteller. Aber praktisch, so ein Kranz; den kann man auch gleich zur Beerdigung als Trauerkranz mitnehmen. Wettrennen im Tunnel, Verfolgung durch die Papparazzi, Unfall: So kommt man langsam dem Verfahren auf die Spur.
Sieh an, unsere Idole
Die vielen zugerümpelten Kabinette auf der unablässig kreisenden Drehbühne sind ebenso Schauplatz wie Requisitenkammer und mit oder ohne Darsteller bereits ein Bild voller Deutungsangebote. Eine archaische Venus, wie aus Brotteig gebacken, liegt hinter einem Vorhang: ein Hinweis ganz sicher auf das Verschlingende und Verzehrende der Liebe, gerade auch zu öffentlichen Personen. Man schaut sie an und bekommt von irgendwo einen BBC-Ton zugespielt, die Nachricht vom Unfall und Tod der Prinzessin Di.
Lief hier nicht eben noch die Figur einer Queen vorbei, dargestellt von einer zwergenhaft kleinen Schauspielerin, die man immer wieder irgendwo etwas hacken, rühren, kochen sieht? Da stößt man auf eine Szene wie im Märchen: Eine Frau im grünen Kleid kniet in einer Spielzeuglandschaft und klagt, weil sie Angst hat, ihren Bruder zu verlieren. Man muss sich bücken, um die Szene zu beobachten, durch ein Loch, das jemand in die Wand getreten hat. Die Schlüssellochposition eines Voyeurs, gewiss. Aber der Hunger nach dem Leben der anderen wird hier nicht mit Verachtung gestraft. Nein, in dieser Riesenmischmaschine für Skandal, Boulevard, Naivität und Sehnsucht erhält das Teilnehmenwollen am Leben und Lieben von Stars etwas von Unschuld zurück.
Der Mitmach-Kunst-Knast
Und Jenny Elvers? Ist das die, die da gerade in einer Ecke lesend saß im letzten Kabinett? Auf einem Monitor ist ein Filmausschnitt zu sehen, und da ist sie die schon gestorbene Prinzessin. Eine ältere Frau beugt sich über sie und klagt: „Deine Schönheit vergeht nicht, aber meine ist schon vergangen.“ Und sie erzählt, wie sie ihren Körper verkaufen musste und die Männer sie ausgenutzt haben. Sie erzählt das ziemlich böse, so als wäre die Mimin der Toten schuld an ihrem Unglück. Von wegen, Königin der Herzen. Neid spielt auch eine Rolle.
Christoph Schlingensief vertraut seinen Zuschauern, die werden schon gutwillig sein und mitdenken. Diese familiäre Vermengung vom Innen und Außen der Kunst macht einen großen Teil des Charmes von „Kaprow City“ aus. In Zeiten, wo die Angst vor Arbeitslosigkeit hartnäckig in den Köpfen sitzt, sei man doch froh, wenigstens in Kunstaktionen etwas zu tun zu bekommen, erklärt der Regisseur im Interview.
Tatsächlich ist „Kaprow City“, benannt nach Allan Kaprow, einem der ersten Künstler, der aus Betrachtern Beteiligte machen wollte, auch eine gigantische Arbeitsimulationsmaschine. Oder einem Überwachungsapparat: In der kreisförmigen Anordnung seiner Zellen gleicht die Anlage einem Gefängnis. Die Wächter sind wir, Stellvertreter des öffentlichen Blicks. Die Gefangenen, das sind die Schauspieler und ihre Rollen, Jenny Elvers und Lady Di.
14.9.2006