RIESENDURCHEINANDERKARUSSELL (FRANKFURTER RUNDSCHAU)

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Schlingensiefs „Kaprow City“ in der Volksbühne

Von P. Kohse

Die Medien waren vorab wie immer gut bedient worden. Schlingensief bringt in der Volksbühne Dianas Tod auf die Bühne! Jenny Elvers-Elbertzhagen als sterbende Prinzessin Di! Prinzen wollen Schlingensiefs Diana-Stück verbieten! Schlingensief lädt Prinzen zur Premiere seines Diana-Films ein!

„Kunst ist ständige Wiederbelebung“, wird der amerikanische Künstler Paul Thek in der Programminformation der Volksbühne zitiert, und so gesehen hätte die Sache selbst gar nicht mehr stattfinden müssen. Aber die Arbeit des 46-jährigen Konzeptualisten Sch. steht auch noch unter einem zweiten Motto: unter dem väterlichen Ausspruch „Erinnern ist vergessen“ (Hermann-Josef Schlingensief). Woraus sich erstens ergibt, dass nach dem Spektakel immer auch vor dem Spektakel ist, zweitens, dass die Themenwahl keineswegs verpflichtend ist, und drittens, dass das Ganze am Ende eben doch stets höchstpersönlich abgearbeitet werden muss, damit wieder Friede herrscht im Wald und auf der Heide. (Ein Weilchen wenigstens.)

Kaprow City also statt „Dianas Tod“ oder ähnlichem, eine Hommage an den im April gestorbenen Hausheiligen des Schlingensief-Aktionismus, Allan Kaprow, der vor ungefähr einem halben Jahrhundert den Begriff „Happening“ erfand. Leute kommen, beobachten, wie Dinge geschehen, und sind gleichzeitig Teil davon.

Das Volksbühnen-Publikum der Vorpremiere (Vernissage) am Mittwoch wurde in drei Gruppen unterteilt. Die einen saßen im Parkett und schauten sich das filmische Making-of eines Films an, der hinter dem geschlossenen Vorhang live gedreht wurde. Die anderen wurden auf die Hinterbühne geführt wo sie entweder zunächst am Rande Platz nehmen mussten oder gleich in den äußeren Kreis des „Animatographen“ einsteigen durften, der auf der Drehbühne beständig ein tempelartiges inneres Gebäude umkreiste, in dem besagter Film gedreht wurde.

Lebende Hühner, tote Kaninchen

Der Animatograph, dessen Prototyp Schlingensief vor einigen Jahren in Island erfand, und der in vergleichbarer Form schon in Neuhardenberg und Leipzig aufgebaut wurde, ist diesmal eine „Komposition“ (Schlingensief) aus 18 ineinander geschachtelten Räumen, die in Jonathan Meese’scher Weise voll gestellt und voll geschrieben sind. Beflimmert und beschallt werden sie mit allem, was von früheren Schlingensief-Arbeiten übrig blieb und ihm sonst noch einfiel oder wert und wichtig schien. Ein Bild von Richard Wagner mit Hakenkreuzbinde. Lebende Hühner in Einzelkäfigen, tote Kaninchen, eine umgekippte Rehkitz-Requisite. Müll, der von der Decke hängt, ein Tonband-Raum mit figürlich Getöpfertem im Regal, Videos von einer Aktion in Namibia und dazwischen die teils behinderten Darsteller aus der Schlingensief-Truppe, die – wenn sie nicht im Drehtempel gebraucht werden – in einem zum Auto umgebauten Bett sitzen und Chips anbieten, im Queen-Kostüm braunen Teig zu Hakenkreuz-Keksen rollen, in einem Tunnel sitzen und gebetsrufartig Begriffe wie „die Junge Union“ intonieren oder „die Volksbühne ist von der Freien Deutschen Jugend erbaut“.

Ein kurzum Riesendurcheinanderkarussell, durch das man hindurchwühlt, alles sehend, kaum etwas erkennend, und das von Ordnerinnen in roten oder schwarzen Maleroveralls streng bewacht wird. Im Inneren, damit keiner in den Drehtempel vordringt. Von außen, damit niemand unbefugt einsteigt. Aussteigen aber geht immer, und wem es hier zu fad wird, der kann sich zurück in den Zuschauerraum schleichen und eine filmische Ahnung davon bekommen, was im Herz des Animatographen passiert. Man könnte auch sagen: im Auge des Taifuns. Denn viel ist das nicht: Einer sitzt im Bett und wird von anderen durchgerüttelt. Volksbühnenschauspieler Bernhard Schütz (von hastig-kraftvoller Eleganz wie immer) drückt Zitronen aus und trinkt den Saft. Und Jenny Elvers-Elbertzhagen (ja, sie ist dabei, und es geht auch um Diana, aber nur ungefähr) sieht hübsch aus in einem kleinen Schwarzen, schaut sanft-melancholisch vor sich hin und murmelt Worte, von denen Schlingensief im Off dann schreit, die seien so toll gewesen, sie solle sie wiederholen.

Wellness für das Hirn

Dinge passieren oder nicht. Man kann sich an Dianas Tod erinnern und über Happenings nachdenken oder nicht. Man kann teilnehmen und aufgeregtes Interesse zur Schau stellen oder auch nur dasitzen und es einmal angenehm finden, nichts zu verstehen. Tagtäglich rollt ja Etliches an einem vorbei, das man eigentlich durchdringen müsste. Was hier aber zerstückelt und in einen Trash-Zusammenhang gestellt wurde, ist die Karussell gewordene Wiederkehr des Banalen, gebastelt Abseitigen oder zu Recht Verdrängten. Man achtet prinzipiell den Lebenswillen, fühlt sich aber nicht in der Pflicht. Es ist sicher als kathartische Unternehmung gedacht. Aber ohne Angebot zum Erkenntnisgewinn. Wellness für das Hirn.

„Schlingensiefs Performance über Prinzessin Diana durchgefallen“, tickerte die Nachrichtenagentur ap noch in der Nacht und verwies auf den nur Sekunden dauernden Applaus. Friede also auch den Medien. Dann ist ja gut.

15.9.2006