Eben war er noch im brasilianischen Urwald, um in Manaus Richard Wagners „Fliegenden Holländer” zu inszenieren. Jetzt bereitet Christoph Schlingensief im Münchner Haus der Kunst seine Installation „18 Bilder pro Sekunde vor”.
Sie sagten, mit Ihrem „Fliegenden Holländer” hätten Sie nach dem „Parsifal” eine weitere Wagner-Oper dem Volk zurückgegeben. Wer hat die beiden denn vorher besessen?
Die Wagnerianer haben so ein Reinheitsgebot. Man kennt sich aus, was überhaupt nicht stimmt. Es soll immer nur ein gesellschaftliches Event sein. Der „Holländer” ist ja stark zur Nummernrevue verkommen und in einer Aktualität steckengeblieben, bei der die Seemänner „Johotoho” singen und Geschlechtsverkehr haben. Der Wagner in Manaus sah anders aus. Die Leute, die die Drehbühne per Hand bedient haben, kannten oder verstanden den Text zum Teil nicht. Dadurch wurde diese Nummernrevue à la Offenbach gebrochen. Zurückgeben, damit habe ich keinen Akt des Schenkens gemeint. Wer bin ich denn? Ich glaube nur, der Wagner hätte sich damit sehr wohl gefühlt.
Warum eigentlich immer Wagner, warum nicht Strauss oder Beethoven?
Meine erste LP war Strauss‘ „Heldenleben”. Auf dem Cover Karajan in Lederklamotten vor seinem Learjet. Meine Mutter hat Beethovens Neunte bis zum Abwinken gehört. Wagner war da gar nicht so aktuell, nach dem Motto: jeden Nachmittag einen Opfergang. Wagner ist mir mit dem „Tristan” begegnet. Und das ist auch die Oper, die ich unbedingt noch realisieren will. Mit Mozart hatte ich immer Probleme. Das liegt vielleicht am Alla-Turca-Geklimper, was ich machen musste. Oder weil mir die Geschichten zu konkret sind. Bei Wagner teilen die Leute Endloses mit. Zum Beispiel Gurnemanz: Tausend Jahre, kein Problem, ich erzähl‘ euch das mal.
Haben Sie mit dem Bayreuther „Parsifal” nicht längst abgeschlossen? Das ist doch ein Widerspruch: Sie als Performancekünstler müssen jedes Jahr zurück und daran feilen.
In meinen Filmen habe ich die Leute gequält, weil ich zum Beispiel ‘ne ganz bestimmte Stimmfarbe wollte. Eine Szene in „120 Tage von Bottrop” haben wir 24 Mal bis nachts um drei gedreht. Ich bin also eigentlich nicht der Performancetyp. Mittlerweile sitze ich bei so was im Theater und denke mir: Gibt‘s da nicht ein Mindestmaß an Dramaturgie? Es stimmt schon: Manchmal will man auf der Bühne schneller sein als der Besucher vom Prenzlauer Berg, der sowieso alles Scheiße findet. Natürlich mag ich‘s, wenn Darsteller, die alles genau wissen und womöglich noch in der Garderobe ausgerufen werden wollen, ohne ihr Wissen in die Kunst geraten. Bei mir hat sich vieles verändert, vor allem durch die Arbeit mit Film und dieser besonderen Kamera, der Bolex. Die muss gekurbelt werden, alle 30 Sekunden ist ein neuer Film erforderlich. Ich kann doppelt und dreifach belichten, dann sitze ich am Schneidetisch, gehe zum Kopierwerk. Unheimlich viel Handwerk ist das, ein dauernder Umgang mit Material und seiner Vergänglichkeit.
Welche Rolle spielt für Sie das Haus der Kunst mit seiner Geschichte im „Dritten Reich”?
Orte waren mir in meinen Filmen immer wichtig. Auf einer Hallig waren wir vom Eis eingeschlossen, konnten nicht weg das beeinflusst kolossal. Genauso das Stahlwerk beim „Kettensägenmassaker”. Solche Orte haben sich aufgetankt. Wie Bayreuth. Oder eben Manaus. Das Haus der Kunst hab‘ ich 2005 durch die Paul McCarthy-Ausstellung näher kennengelernt und mir keine großen Gedanken gemacht. Reingelatscht und Hitler im Sinn oder so. Dass der hier rumlief, ergreift mich gar nicht. Die Kuratorin Stephanie Rosenthal überzeugte und fragte mich damals: Willst du hier mitmachen? Willst du hier im Bild stehen?
Und wie stehen Sie hier im Bild?
Ich biete eine filmische Installation. Zwölf Projektoren knattern mit Filmloops. Die Filme werden kaputtgehen, die kriegen Risse. Dann gibt es die zwölf Apostel, jeder erzählt Gurnemanz-mäßig seine Geschichte. Der eine, Johannes, geht nach Patmos, schreibt die Apokalypse. Auch Mohammed, der Nichtabbildbare, ist dabei.
Was werden die Leute wohl zu Letzterem sagen?
Das ist doch wie beim Berliner „Idomeneo”. So ein Blätterrauschen. Wichtig für ein paar Leute. Die nutzen das, um damit Wind zu machen. Das ist ja hier keine Karikatur. Er ist einfach im Kreis der Apostel angekommen. Das sind doch alles gesichtslose Wesen. Wer weiß denn, wie Johannes aussah? Der filmischste ist vielleicht Thomas, weil er bei Jesus in die Dunkelzone fasst.
Apropos Blätterrauschen: Funktioniert Schlingensief nur, weil die Tagesthemen über die Spektakel berichten?
Beim „Holländer” sind Leute erreicht worden, die damit „Fitzcarraldo” oder Ähnliches assoziieren. Wen interessiert in Manaus, was ich in München mache? Wundersamerweise gibt es über die Medien dann doch Querverbindungen. So wie ich erfahre, dass in Korea einer meiner Filme läuft. Toll. Ich liebe es, im Ausland zu arbeiten. Nicht weil ich Deutschland hasse. Sondern weil ich da mit Stoppelenglisch rumhantiere und ich Freude am Fremden habe.
Ist Bayreuth auch eine Form von Ausland?
Unbedingt, ja. Aber dann eher so auf der Ebene: Jeder weiß es besser. Anfangs war‘s ein Kampf, und jetzt ist da ein Gefühl von Gemeinsamkeit entstanden. Nur: Wenn ich was mache, steht in Deutschland immer gleich „Provokationskünstler” drüber.
Aber bedienen Sie nicht auch manchmal Ihre eigene Marke?
Als ich für das Münchner Projekt zum Beispiel am Schneidetisch bis morgens früh saß, war das ein Superglück. Diese Konzentration. Sicher, bei meinen früheren Filmen gab‘s Geschrei, die Leute sind rausgerannt und so weiter. Und jetzt wurde einer im New Yorker Museum of Modern Art gezeigt. Die Filme waren halt nicht nur die Eintagsnummer, damit‘s mal knallt. Ich nehme das meiste ernster, als man denkt. Am Theater ist, das räume ich ein, einiges komisch gelaufen. Was nicht heißt, das man dabei auf Humor verzichten sollte. Man muss in Deutschland immer so grimmig kucken bei der Kunst.
Ihr Film in New York. Da könnten Sie sich doch ein kleines Triumphgefühl gönnen. Nach dem Motto: Ich hatte Recht…
Triumph nein. Aber ich bin stolz, das gebe ich gerne zu.
Das Gespräch führte Markus Thiel.