BEKENNTNIS ZUM VERLORENEN FADEN (FOCUS)

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Christoph Schlingensief zeigt im Münchner Haus der Kunst seine Installation „18 Bilder pro Sekunde“.

Von FOCUS-Online-Redakteurin Claudia Weingartner

Obwohl Christoph Schlingensief sich inzwischen einen Namen als Filmemacher, Theater- und Opernregisseur, bildender Künstler und Parteigründer gemacht hat – das Label „Provokateur“ und „Enfant terrible“ haftet ihm noch immer an. Für sein neuestes Projekt im Münchner Haus der Kunst tritt der Meister als Person zurück und lässt Bilder sprechen: Im Zentrum steht der Film „African Twin Towers“, den er 2005 aus Namibia mitbrachte sowie die Kurzfilme, die er während seiner Regiearbeit für den „Fliegenden Holländer“ am Teatro Amazonas in Brasilien drehte.

„Ich erfinde nicht, ich finde“, beschreibt Schlingensief sein künstlerisches Vorgehen – und gefunden hat er in den vergangenen beiden Jahren einiges: In seiner filmischen Aufarbeitung mischen sich nordische und europäische Sagen mit afrikanischem Schamanentum, die Musik von Patti Smith mit Texten von Elfriede Jelinek und dem Spiel der Fassbinder-Schauspielerin Irm Hermann. Richard Wagner und die Figuren seiner Theater-, Oper- und Filmprojekte spielen ebenso eine Rolle wie der Anschlag vom 11. September und das Thema der Erlösung. Reales trifft Irreales, Gegenwart auf die Geister der Vergangenheit – in Schlingensiefs Welt hat alles mit allem zu tun.

Kino à la Schlingensief

Das Kino ist nicht der richtige Ort für diese Art von Film, stellt der Künstler wohl zu Recht fest, und sucht im Museum nach einer geeigneten Präsentationsform für sein Schaffen. Eingebettet in eine raumfüllende Installation sollen seine filmischen Sequenzen Dreidimensionalität gewinnen. Statt Filmzuschauern, „die nur davorsitzen“, sollen die Museumsbesucher spüren, dass sie „Teil des Bildes sind“.

Eine überdimensionale Figurengruppe bildet den aufmerksamkeitsstarken Fixpunkt der Installation, die Schlingensief in der ehemaligen Ehrenhalle des Hauses aufgebaut hat. Bei der Abendmahlszene, die sie darstellen, ließ er sich von einem brasilianischen Karnevalswagen inspirieren. Die Riesen thronen auf einem dunklen Tunnel, in dem zwölf altmodische Projektoren rattern und Filme in Endlosschleifen, sogenannten „loops“, zeigen: Die 12 Apostel erzählen ihre Geschichte, auch der Prophet Mohammed ist dabei. In einem abgeteilten Raum wird auf 18 Monitoren das vollständige Material des Films „African Twin Towers“ gezeigt, insgesamt 18 Stunden lang. Vor dem Bau sechs weitere Filmkabinen, die Schlingensiefs Weg zum Filmemacher und seine Erfahrungen im Urwald von Manaus thematisieren.

Bilder aus einer anderen Zeit

Viele der Filmszenen wurden mit einer 16-mm-Bolex-Kamera aus den 30-er Jahren gedreht. Mittels eines Hebels an der Kamera lassen sich die Bilder in Licht oder Dunkelheit versenken. Das eigentlich Interessante sind laut Schlingensief diese kurzen Momente des Nicht-Sehens, „Leerstellen, die Nachbilder auf der Netzhaut provozieren.“ In den Dunkelphasen mischt der Betrachter eigene Bilder dazu, überschreibt die Erfahrungen des Künstlers mit seinen eigenen.

Letztlich geht es bei der Ausstellung deshalb nicht um die gezeigten Bilder – bei der fragilen Konstruktion aus sich meterlang windenden Filmstreifen in engen Kabinen lässt sich nicht ausschließen, dass der Film zerkratzt oder reißt – sondern darum, wie sich das Gesehene in der Erinnerung des Betrachters auflöst. Die Installation setzt auf die Magie der Bilder. Sie will zum Abtauchen in einen wilden Assoziationsstrom verführen und wirbt für neue Seherfahrungen jenseits der Linearität. „18 Loops, Filmloops, zerstörbar, knatternd, riechend … kein digitales Nichts. Aber ein Bekenntnis zum verlorenen Faden“, sagt Schlingensief zu seinem Kunstwerk, auf das sich nicht jeder einen Reim machen können wird. Für Kuratorin Stephanie Rosentahl kein Nachteil, denn „nicht Schärfe ist Schlingensiefs Thema, sondern Unschärfe. Dinge, die klar sind, inspirieren nicht. Die Welt in ihrer Ganzheit ist eben nicht zu begreifen.“

„Christoph Schlingensief: 18 Bilder pro Sekunde“
25. Mai bis 16. September 2007
Haus der Kunst
Prinzregentenstr. 1
80538 München

(FOCUS vom 25.05.2007)