SCHLINGENSIEF ZEIGT FILM-REFLEXION (ZEIT)

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Im Münchener Haus der Kunst hat Christoph Schlingensief eine spektakuläre Installation geschaffen. Die Ausstellung bietet eine sinnliche Reflexion über das Medium Film mit vielen Bezügen zur Gegenwart.

München – Es hat etwas Nostalgisches. Mehrere knatternde Projektoren spielen in kleinen Kabinen grobkörnige 16-Milimeter-Kurzfilme ab, in Schwarz-Weiß, ohne Ton, es knistert, es flimmert. Wenige Schritte weiter dann der visuelle Kontrast: An einer Wand zeigen 18 Flachbildschirme in üppigen Farben oder kontrastreichem Schwarz-Weiß eine Flut von gestochen scharfen Filmaufnahmen. In Christoph Schlingensiefs Installation „18 Bilder pro Sekunde“ im Münchner Haus der Kunst ist die Überforderung des Betrachters Programm.

Eine Bretterwand umgibt die Installation, am Eingang grüßt ein riesiger Jesus. Ein paar Schritte weiter öffnet sich der Blick auf den optisch dominanten Überbau: eine begehbare, überdimensionale Abendmahlszene. Als Vorlage dafür diente ein Karnevalswagen im brasilianischen Manaus. Darunter sind die Videowand sowie – analog zu den zwölf Aposteln – die zwölf Kabinen mit den Filmprojektoren angeordnet. Sechs weitere Kabinen davor bieten eine subjektive Annäherung Schlingensiefs an das Thema Film.

Auch Kurzfilme sind zu sehen

Im Mittelpunkt der eigens für das Haus der Kunst konzipierten Schau stehen zwei filmische Werkkomplexe des Regisseurs und Aktionskünstlers: Zum einen 18 Stunden ungeschnittenes Material seines unfertigen Films „African Twin Tower“, gedreht in Namibia, in dem es unter anderem um Richard Wagner, den Anschlag vom 11. September, Angehörige eines afrikanischen Hirtenvolks sowie Geister der Gegenwart und der Vergangenheit geht.

Zum anderen sind Kurzfilme zu sehen, die Schlingensief während der Vorbereitungen für seine Inszenierung der Wagner-Oper „Der fliegende Holländer“ in Manaus gedreht hat. Aufgenommen hat er die Kurzfilme mit einer Kurbelkamera aus den 1930er Jahren, die durch Rückspulen Doppel- und Mehrfachbelichtungen erlaubt – „wo die Zeit so tut, als wäre sie schon fortschritten“, wie Schlingensief es formuliert.

Betrachter Teil des Betrachteten

Anders als im Kinosaal sind die Projektoren nicht verborgen. Ihre Präsenz wird betont, sie werden integraler Bestandteil der Vorführung. Sie rattern, strahlen Wärme aus, es riecht nach erhitztem Zelluloid, die Filmstreifen laufen über den Köpfen der Ausstellungsbesucher zum Teil in mehreren Bahnen durch die kleinen Kabinen. Die Filmsequenzen werden dabei in verhältnismäßig kleinem Maßstab an die Wand geworfen: Der Betrachter soll laut Schlingensief „einen Schritt auf das Bild zugehen“.

Der Regisseur meidet mit seinen neuen Filmarbeiten bewusst Kinosäle und bezieht den Projektionsraum mit ein. „Mein Leben lang habe ich eine Präsentationsform im Kino gesucht, die ich nie gefunden habe“, erläutert er. „Ich versuche klar zu machen, was der Betrachter für eine Rolle spielt.“ Er wolle ihn „nicht einfach vor den Film setzen“. Der Betrachter solle merken, dass er selbst ein Teil des Betrachteten sei.

Eine Bilderlawine

Die Installation des 46-Jährigen bietet – neben vielfachen Bezügen zur gesellschaftlichen Gegenwart und Grundfragen der menschlichen Existenz – eine überaus sinnliche Reflexion über das Medium Film. Unterstrichen wird dieser Aspekt durch die mehrfache Präsenz der Zahl 18: 18 Monitore zeigen 18 Stunden Rohmaterial eines Films, insgesamt 18 Kabinen umfasst die Installation. Auch der Ausstellungstitel „18 Bilder pro Sekunde“ verweist darauf, dass der Mensch ab 18 Bildern pro Sekunde anfängt, eine flüssige Bewegung zu sehen.

Schlingensief verwirrt den Betrachter, überrollt ihn mit einer wahren Bilderlawine, meidet das Eindeutige, betont das Verborgene. In „18 Bilder pro Sekunde“ muss der Betrachter gewissermaßen selbst zum Regisseur werden: Er muss aus der Flut der Eindrücke und Themen das herausfiltern, was ihn berührt und so im Kopf einen eigenen Film schaffen.
Die Ausstellung ist seit Freitag und bis zum 16. September zu sehen. (tso/ddp)

(Die ZEIT vom 25.05.2007)