REISE ZU SICH SELBST (DEUTSCHLANDRADIO)

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Schlingensief-Installation im Haus der Kunst in München

Von Walter Kittel

An einer Wand zeigen 18 Flachbildschirme in üppigen Farben oder kontrastreichem Schwarz-Weiß eine Flut von gestochen scharfen Filmaufnahmen. In Christoph Schlingensiefs Installation „18 Bilder pro Sekunde“ im Münchner Haus der Kunst ist die Überforderung des Betrachters Programm. Im Mittelpunkt der eigens für das Museum konzipierten Schau stehen zwei filmische Werkkomplexe des Regisseurs und Aktionskünstlers.

„Für mich ist es sehr schön jetzt hier zu sein, weil dieser Ort eben tatsächlich von diesem Theatralischen auch wegholt. Ich bin hier nicht im Bild, ich muss hier auch nicht spielen, ich will hier auch nicht spielen, es ist etwas passiert, das wird gezeigt. Das gibt es ja nun in der bildenden Kunst öfter und es kann auch so gezeigt werden, dass der Betrachter damit sogar selber anfängt zu spielen. Und das ist doch das Größte.“

Zunächst aber muss der Eingang gefunden werden zu Christoph Schlingensiefs Installation, denn ein Bauzaun umgibt die riesige Figurengruppe. Jesus ist zu sehen, beim Abendmahl mit seinen Jüngern. Und darunter liegt ein enger, dunkler Raum. Hier könnten Antworten verborgen sein, warum Jesus, weshalb die teils verstreut gestellten Apostel und was bedeutet die Symbolik? Zwölf Film-Projektoren rattern dicht nebeneinander vor sich hin. Unscharfe Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Buschhütten, Eingeborenen oder exotischen Tieren sind zu sehen.

„Da habe ich die Kamera genommen und wir haben uns darauf eingelassen in den Dschungel zu fahren, auch mit dem Orchester, mit dem Chor, aber auch alleine. Und dort haben wir eben gedreht mit dem Material, wo man nicht wusste, was dann da drauf ist. Das ist aber auch ein bisschen wie im Dschungel rumlaufen, da weiß man auch nicht, was in dem Kokon ist, was da raus kommt.

Ob da ein Schmetterling raus kommt oder ne Spinne oder so was. Dieser Moment der Verpuppung, das habe ich mit der Kamera verbunden. Also die Filme sind dort in diesem Amazonasgebiet entstanden. Sie zeigen Versatzstücke von Handlungen, die aber schon im Animatographen in Island begonnen haben, in Neu Hardenberg, in Afrika eben für den Parsifal. Das ist eine Endlosgeschichte, die sich auf die Edda, aber auch auf den Koran, die Bibel, also all die Verwebungen dieser Geschichten zeigt.“

Schlingensief erzählt von seiner Arbeit, den Kontexten und Bedeutungen der gezeigten Filminstallation. Erst wenn er spricht und assoziiert, wird das dunkle Kabinett lebendig. Ohne Erläuterungen und Begriffe aus Schlingensiefs Welt, die in einer für die Ausstellung entstandenen „Zeitung“ mitgeliefert werden, würde es wohl schwierig werden. Von 16mm und Abendmahl über Beuys bis zu Theater, Tod und Zufall reicht die Liste.

Wer sich einlässt, sieht ihn bestenfalls lebendig vor sich, wie er die Kamera in den Urwald hält und nach Zusammenhängen sucht. Und es entsteht auch eine Ahnung davon, wie es der phantasiebegabte Regisseur versteht, deutsche Schauspieler im fernen Namibia für sich zu gewinnen. Ob in der Wüste oder zwischen den Blechhütten eines Slums. Die Kamera surrt immer mit.

„Am Ende des Raumes laufen dann eben auch 18 Stunden, fast ungeschnittenes Material aus einer Produktion vom Oktober 2005. Das ist Material, das ist in Namibia, ehemals Deutsch-Südwest entstanden, mit verschiedenen Leuten aus meiner Gruppe. Die also dort in Namibia an einem Film teilnehmen, der aber die Handlung auch eigentlich die ganze Zeit in Frage stellt. Es wird jeden Tag eigentlich ein neuer Film gedreht.

Stand der Dinge, the Immitation of Life. Der diskrete Charme der Bourgeoisie, die Verdammten von Visconti, jeden Tag ist es eigentlich ein neuer Film gewesen. Und jeden morgen fragte eben Herrmann, was ist jetzt los, wo stehe ich hier, was soll das? Was ist meine Rolle? Und dieser Moment ist eigentlich der schönste Moment, wenn man noch nicht weiß, was man für eine Rolle hat, wenn man noch nicht weiß, wo man wieder hin soll. Wer man wieder sein muss.“

Schlingensief, der Theatermann, stellt sich selber aus im Haus der Kunst. Sein Leben, seine Arbeit, seine Träume, ja sogar seine Kindheit und Jugend werden thematisiert. Und indirekt auch der Tod des Vaters.

Denn in einem eigenen Raum hängt ein kleines Ölbild, das Schlingensiefs Familie zeigt: Vater, Mutter und Sohn im Jahre 1975. Die in expressionistischer Manier gemalte Studie ist als Referenz an den Vater zu verstehen, der im Leben von Christoph Schlingensief der erste Mann mit einer Kamera gewesen ist. Jemand, der dem Sohn die Technik faszinierender Doppelbelichtungen erklärt hat und der ihm eine Ausrüstung schenkte.

„Die Filme, die jetzt entstanden sind, sind für mich ein guter Schritt auch aus dieser Traurigkeit heraus plötzlich wieder Heimat zu finden, in der Kamera. Auch den Prozess des Zerfalls zu zeigen. Das Material wird ja hier wirklich sehr strapaziert. Es wird reißen, es werden Leerstellen entstehen. Es kann sein, dass man hier in zwei Wochen eben an manchen stellen nur kurze Sprünge noch sieht. Dann gibt es auch ein Protokoll, wo genau wie bei einem Patienten steht, wann der Patient mal kurz den Atem ausgesetzt hat, wann es wieder weiter ging. Und durch den Tod meines Vaters gibt es viele Momente, wo ich selber überlege, was ich damals alles so getrieben habe.“

Es ist eine erstmals in Form gegossene Facette aus Schlingensiefs Leben und Werk, in der sich die Besucher verirren dürfen. Dass er vom Theater kommt und wie ein Mann vom Theater denkt, zeigen die großen Styroporkulissen. Schlingensiefs Filme könnten kaum für sich alleine stehen. Sie brauchen eine opulente Inszenierung. Die Provokation bleibt aber aus. Christoph Schlingensief wirkt zahm in München. Er sucht nach Ruhe und Distanz. Manchmal wirkt er nachdenklich und ist enttäuscht vom Theater.

„Hier nebenan baut gerade Gilbert & George auf, es ist hochgradig entspannend, mit den Herren essen zu gehen oder einfach sie zu sehen und dann sitzt man da und trinkt Kaffee. Im Theater würde man sofort wieder fragen: Wie läuft’s, wie geht’s, was hast du nächstes Mal vor, ja, ich hab gelesen, war nicht so gut.

Ja, diese Leute kriegen sicher auch viel um die Ohren, aber es ist, auch Paul Mc Carthy oder Matthew Barney mit dem bin ich befreundet, das sind einfach ganz tolle, weiche Menschen, die sich interessieren, mit denen man Bilder gerne guckt zusammen und wo man keine Probleme hat, wenn der eine das nicht mag und man selber dafür schwärmt.

Ich erlebe gerade ne große Entspannung, nach der ich auch ne Wahnsinns Sehnsucht hab, weil ich eben einen Teil meiner Familie vermisse und ich will jetzt nicht kämpfen. Ich glaube, dass der Film für mich immer ne ganz große Stärke für mich immer hatte, die ich durch das Theater jetzt auch erweitern kann, ich habe viel gelernt am Theater, das will ich gar nicht so verteufeln.“

Durchschnaufen, sich sammeln und wiederfinden im Haus der Kunst. Für Christoph Schlingensief ist die monumentale Filminstallation eine Reise zu sich selbst. Und für die Besucher in jedem Fall ein inspirierendes Erlebnis.

(Deutschlandradio, 25.05.2007)