Über Walter Braunfels JEANNE D’ARC – SZENEN AUS DEM LEBEN DER HEILIGEN JOHANNA
Von Carl Hegemann
»Confidence Games« nennt der amerikanische Religionswissenschaftler Mark C.Taylor,die Strategien,die in Religion und Ökonomie für Bewegung sorgen. »Täuschungsspiele« ist wahrscheinlich eine unzureichende Übersetzung, die der Dialektik von Vertrauen und Verdacht, die in diesem Wort mitschwingt, nicht gerecht wird. Für Taylor sind diese Spiele,die eine Sphäre grundsätzlicher Unsicherheit und Ungewissheit erzeugen, von zentraler Bedeutung. In einem Buch über »Geld und Markt in einer Welt ohne Erlösung « sieht er die Triebfeder religiöser und ökonomischer Praktiken nicht in der Sicherheit göttlicher Offenbarungen und gültiger Wahrheiten, sondern in der Unruhe, die entsteht,wenn wir uns bewusst machen, dass wir nichts wissen können und dass alle unsere Überzeugungen von einem Moment auf den andern zusammenbrechen können.Unsicherheit und Ungewissheit treten an die Stelle der Hoffnung auf eine wieauch immer geartete »Erlösung von dem Übel«. Der Verzicht auf diese Hoffnung führe zur Offenheit für die Zukunft. Das Annehmen dieser grundsätzlichen Ungewissheit und Unsicherheit, so Taylor, vernichte zwar die Hoffnung auf Erlösung, ermögliche aber gleichzeitig auch, ohne diese Hoffnung zu leben und sich offensiv und unbefangen dem Leben in seiner Unberechenbarkeit zuzuwenden.
Walter Braunfels, zum Katholizismus konvertierte Halbjude, war einer der erfolgreichsten Komponisten in der Zeit der Weimarer Republik. Von den Nazis wurde er ab 1933 mit einem Aufführungsverbot belegt. Seine Johanna-Oper schrieb er zwischen 1938 und 1942 für die Schublade. Braunfels thematisiert in dieser so katholischen wie ketzerischen Oper, Abgründe und Ausweglosigkeiten zwischen Gewissheitsstreben und Verzweiflung an der Wahrheit: eine Passion der Ambiguität. Der unbefriedigte Drang nach Glaubens- und Heilsgewissheit, der den Katholizismus faszinierend macht, ist der rote Faden in diesem Spiel. Warum soll eine 16jährige erotische androgyne Kindfrau mit längst verstorbenen Heiligengestalten auf du und du stehen, die ihr erklären,das kein geringerer als Gott, sie das kleine Hirtenmädchen dazu bestimmt hat,den Franzosen gegen die Engländer zum Sieg zu verhelfen?
Der Erzbischof von Manila, Kardinal Jaime Sim, hat gesagt: »Menschen, die behaupten, sie würden Gott sehen oder die Stimme der Mutter Gottes hören, sollten versuchen, etwas mehr zu essen«. Aber seine Kirche hat die Jungfrau Johanna 1910 heilig gesprochen. Machen vermeintliche Unschuld, erotische Ausstrahlung und selbstbewusstes Auftreten den Beobachter vielleicht blind?. Man sieht es den Ereignissen nicht an, ob es sich bei ihnen um den wunderbaren Einbruch der Transzendenz, des Heiligen in die Welt handelt oder um eine betrügerische Manipulation der Welt, deren Instrumente von der »frommen Lüge« bis zu hochkriminellem Verhalten reichen können. Auch die überzeugensten Beweise können sich als Fälschungen herausstellen. In diesem Zwiespalt bewegt sich – nicht nur bei Braunfels – auch die Geschichte der Heiligen Johanna. Das Heilige, Jungfräuliche, Unschuldige und das Hexenhafte,Teuflische und erotisch Obsessive sind nur einen Millimeter voneinander entfernt. In ihren Erscheinungsweisen können beide Seiten identisch sein. Ob wir uns in diesem Zwiespalt für Glauben oder Misstrauen entscheiden, hängt wahrscheinlich weniger von den vermeintlichen Fakten ab als von unserer Lage. Je aussichtsloser sie ist, desto mehr neigen wir dazu, an Wunder zu glauben und auf Manipulationen hereinzufallen.
Der abgeklärt aufgeklärte Drahtzieher La Tremouille, nach Johanna und Gilles de Rais,die wichtigste Figur in Braunfels’Oper, weiß das alles. Er glaubt nicht an Wunder sondern sehr modern an Massenpsychosen, Illusionen und Wahrnehmungsverzerrungen in Extremsituationen, aber auch, wo solche Erklärungsmuster nicht greifen, bewahrt er einen kühlen Kopf. Die Merkwürdigkeiten, die Johanna auslöst, sind für ihn Material, das er für seine Zwecke einsetzen kann, Johanna wird benutzt für Strategien im Rahmen von Nützlichkeitserwägungen, die alles andere als religiöser Natur sind. Zuerst benutzt er die lebendige Johanna für seine Zwecke und dann, nachdem sie ihren Zauber verloren hat, plant er die tote zu benutzen Kostenrechnungen ersetzen die Fragen nach Glauben und Erlösung.
Gilles de Rais, der naiv glauben wollende ritterliche Begleiter Johannas, ist schon als historische Figur ein ganz anderer Charakter. Ihm geht es um Wahrheit. Er braucht »Gewissheit«. Johanna muss für ihn eine von Gott Berufene sein,wenn sie es nicht ist, ist sie eine Betrügerin und ihre Wundertaten sind Teufelswerk.Wenn sie aber unschuldig den Scheiterhaufen betritt, haben die höchsten kirchlichen Würdenträger, die sie dazu verurteilt haben, ein teuflisches Spiel gespielt und sich gegen Gott gestellt. Wenn Gott Johannas Martyrium auf dem Scheiterhaufen trotzdem zulässt,hat Gott sich abgewendet. So bleibt diesem Mann,der Gewissheit wollte, am Ende nur eine Gewissheit: »Satan,du hast gesiegt!« Der Umschlag vom radikal Guten zum radikal Bösen. Von diesem Schlusspunkt her,könnte man die ganze Oper als eine schwarze Messe deuten, die in der Anbetung Satans gipfelt.Die historische Figur des Gilles de Rais,der ja weniger als der treue Begleiter der Jungfrau Johanna in die Geschichte eingegangen ist, als durch seine zweite Karriere, nach deren Tod , die ihn zu einem der größten Mörder und Kinderschänder aller Zeiten machte, einem Blaubart, der dem Marquise de Sade zum Vorbild gedient hat, diese Figur also passt gut zu einem solchen Ende, das dann perspektivisch die These von Dostojewskis Großinquisitor untermauern würde: »Wenn Gott tot ist, ist alles erlaubt.« Es bleibt aber bei Braunfels nicht bei diesem satanischen Schluß,denn im allerletzten Bild geschieht dann doch noch ein (historisch schlecht belegtes) Wunder.Das Volk strömt auf die Bühne,begeistert und entgeistert mit der Hymne: »Ihr Herz ist nicht verbrannt«.
Mit diesem Zeichen,dem wundersamerweise nicht verbrannten Herzen der Johanna,meldet sich Gott wieder zurück,rehabilitiert Johanna
und auch sich selbst (wenn man es glaubt).Damit ist die ursprüngliche Ambiguität wieder hergestellt.
Braunfels hat den Standpunkt der angepassten Ketzerin Johannas in mancher Hinsicht übernommen.Nur als Märtyrerin kann sie dem Widerspruch entkommen.Das ändert nichts an ihrem Ketzertum, das sich im Wunder auf dem Scheiterhaufen nur bestätigt: An die Stelle des Kreuzes Christi tritt am Ende dieser Johanna-Passion das Herz der Johanna.Die Retterin Frankreichs wird dem Erlöser implizit gleichgestellt, der sich am Kreuz für uns geopfert hat.Das Kreuz Christi wird durch das nicht verbrannte blutende Herz der jungfräulichen Kriegerin ersetzt. Braunfels’ Passionsspiel ist, so betrachtet, ein Überbietungsversuch der älteren christlichen Passionsspiele,wenn nicht der christlichen Passion überhaupt.Johanna soll offensichtlich dramatischer,vielschichtiger und widersprüchlicher als Jesus wirken. Eine Passion als Stationendrama,ohne Lösung und ohne Erlösung, so heilig wie profan,vermessen und demütig,gläubig und ungläubig.
Der bekennende Katholik Christoph Schlingensief,der überall in der Welt gegenwärtige vor allem synkretistische, (para-)religiöse Praktiken
untersucht und diese in seinen Filmen,Inszenierungen und Kunstinstallationen mit seinem eigenen profanen Alltag und dem müden Christentum des Westens konfrontiert, wird diese Oper als synkretistisches Hochamt, zelebriert von den Mitgliedern einer Kunstsekte, inszenieren,in einem Ambiente,das die Grenzen zwischen Sakralraum und Bühne systematisch sprengt.Die Fotos auf dervorigen Seite sind Dokumente seiner Nepalreise,die Schlingensief zusammen mit seinem Filmteam im Dezember und Januar zur mentalen und ästhetischen Vorbereitung seiner Inszenierung unternommen hat.
Aus: Deutsche Oper Berlin Magazin, Zukunft Große Oper, Magazin Nr. 4, Februar – Juli 2008