Wie man vom „Meilenschwindel“ eines deutschen Tabakhändlers zu 9/11 und Gegenbildern zu xenophobem Denken kommt:Christoph Schlingensiefs „African Twintowers“ in Graz
Ein Tabakhändler aus Bremen, Adolf Lüderitz, kaufte Ende des 19. Jahrhunderts einem Stammeshäuptling an der namibischen Küste ein 40 mal 20 Meilen großes Stück Land für 100 Goldpfund und Gewehre ab. Ein gutes Geschäft. Denn nach Abschluss des Verkaufes meinte Lüderitz: Natürlich sei er nicht von englischen, sondern von preußischen Meilen ausgegangen. Letztere machen mit umgerechnet 7,5 Kilometern um einiges mehr her als die englischen, die nur 1,6 km entsprechen. Vor Lüderitz, der heute vergessenen Stadt des Meilenschwindlers, steht heute der Wellblech-Slum AREA 7.
Dort drehte Christoph Schlingensief mehr als 300 Stunden Filmmaterial, das nun als Teil der Ausstellung The African Twintowers in der Neuen Galerie Graz das Problem der Armut in Afrika thematisiert. Schlingensiefs 18 Videos stehen Fotografien der Musiklegende Patti Smith, dem Schauspiel der Fassbinder-Ikone Irm Hermann und einem Text der Literatur-Nobelpreis-Trägerin Elfriede Jelinek gegenüber. Aids, Hunger und Bürgerkriege fordern in Afrika täglich Opfer – immer noch infolge der westlichen Kolonialpolitik.
Smiths Arbeiten stellen den Bezug zu den Ereignissen um die Twintowers vom 11.9.2001 her, Jelineks Sprachkunst ähnelt strukturell Schlingensiefs medialem Werk. All dies gliedert sich nun in eine Trilogie der Galerie zum Thema „Slum“ ein. Schlingensiefs drastische Filme werden zeitgleich abgespielt. Der Betrachter soll durch seine individuelle Auswahl der Subjektivität des Künstlers begegnen. Schlingensiefs „Inszenierung deutscher Gegenwart in kolonialer Vergangenheit“ wurde bereits 2005 gedreht.
Sie findet beim herbst zeitgleich mit der Ausstellungs- und Diskursreihe „wie du mir“ statt, in der Bilder für transkulturelles Denken und Handeln gegen Xenophobie sowie nationale, religiöse und kulturelle Eingrenzungen zu sehen sind.
Isabella Hager, DER STANDARD/Printausgabe, 30.09.2008