HITLER IST AN ALLEM SCHULD (FAZ)

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Von Eleonore Büning, Wien

Der Patient ist nicht mehr depressiv. Es geht ihm besser, er kann wieder austeilen. Christoph Schlingensief hat, kurzfristig eingesprungen in eine Spielplanlücke, für Wiens Burgtheater eine herrliche neue Klamotte inszeniert. Es handelt sich um eine Art Kompott aus Fremdtexten, Lieblingsmusiken und Improvisation, ein stark ironiegepfeffertes, mit erstklassigen Schauspielerkräften garniertes Opern- und Operettenpüree, darin unter anderem Bayreuth gründlich verhauen und anerkannt wird als die Wurzel allen Übels und gleich auch noch ein paar widerlich sarkastische Kritiker mit in die Sauce hineingeraten. Sie werden aber nicht namentlich genannt. Vielleicht haben ja auch Kritiker Anwälte. Schlingensief ist also wieder ganz der alte, total selbstreferentiell und auf der Höhe seines Ich. Wie schön! Alle Anwesenden im Theater freuen sich sehr.

Seit er Anfang letzten Jahres ins Krankenhaus kam und eine Nachrichtensperre verhängte, seit er die Zeitungen, auch diese hier, mit Rechtsklagen überzog, damit ja keiner außer IHM das böse Wort Krebs unnützlich führe, hat Schlingensief, in berserkerhaftem Schaffensdrang, schon zwei abendfüllende Theaterproduktionen auf den Weg gebracht, die von nichts anderem handeln als eben davon. Dies hier ist jetzt der dritte Teil der Trilogie. Auf die Fassungslosigkeit der braunfelsschen „Johanna“ in Berlin, notdürftig zusammengehalten vom Korsett des Werks, das es zu inszenieren galt, und auf das ritualgeschützte Requiem bei der Ruhrtriennale folgt nun eine Buffo-Oper. Es geht aufwärts. Auch in „Mea culpa“ geht es wieder um Schlingensiefs Krebs. Nur darf diesmal gelacht werden.

Kritiker mit gesenkten Waffen

Krebs hat ja nicht nur Schlingensief, das haben viele andere Menschen auch (sogar Zeitungsmenschen). Schlingensief wird sterben, daran oder an etwas anderem, früher oder später, mit oder ohne Gott. Auch diese Erfahrung kann man beim besten Willen nicht exklusiv nennen, zurück bis in die Höhlenmalerei der Urzeit reicht die Suche der Menschenkunst nach der Anwesenheit Gottes. Nur hat selten einer dabei so schonungslos öffentlich um sich geschlagen, geweint, gewütet, gestöhnt, gehadert und sich gefürchtet wie Schlingensief.

Das ist unerträglich hochmütig, wirkt zugleich unendlich rührend und zieht, vor allem dank der vielen verallgemeinerbaren Wahrheitsgehaltzipfel, alle Sympathien auf sich. Doch rezensieren, wie es Aufgabe eines Zeitungsmenschen wäre, kann man das nicht. So haben an der Ruhr denn auch reihenweise die Kritiker ihre Waffen gesenkt.

Positiv denken!

Luftiger, lustiger geht es jetzt zu in Wien. Das Publikum wird gleich auf den neuesten Stand der Therapie gebracht: Wellness heißt die Parole, positiv denken! An die Gralsburg, immer noch die aus dem Bayreuther „Parsifal“, sind diesmal Freimaurersymbole gemalt: Zirkel und Maurerkelle, das Auge Gottes, ein Hammer kreuzt sich mit einer Möhre. Vielleicht hat Schlingensief schon als nächstes Projekt eine Mozartoper auf dem Radar. Gurnemanz (Joe Garcia) singt scheppernd verzerrt seinen großen Monolog aus dem ersten „Parsifal“-Aufzug. Der kreuzernste, quietschfidele Schauspieler Hermann Scheidleder, mit Zopfperücke und Kniebundhose, ein kurzer, runder Mozart, wirft sich auf den Rücken wie ein Käfer, zappelt und stirbt. Als sich Amfortas über ihn legt und fröhlich kopulieren will, springt Mozart gleich wieder auf und ruft: „Ich bin geheilt.“

Schon dreht sich die Bühne zwei Zimmer weiter, und im Frühstücksraum des Ayurveda-Sanatoriums in Bad Schandau begrüßt Direktorin Margit Carstensen neu eingetroffene Gäste. Das Personal (Irm Hermann, Karin Witt) stellt sich vor, der tausendjährige Wunderheiler-Maharadscha im Rollstuhl fährt herein, der Bau eines alle Maßstäbe sprengenden Ayurveda-Turms in Dubai wird angekündigt und gefeiert. Und ein Künstler mit Hornbrille (Joachim Meyerhoff) nebst Gattin in Chanel (Fritzi Haberlandt) kriegt seine Diagnose. Leicht ist in diesen beiden Schlingensief selbst zu erkennen nebst der Verlobten, Kostümbildnerin Aino Laberenz, aber auch Jörg Immendorff nebst Gattin ließen sich darüberkopieren.

Lauter Menetekel

Schlingensief/Meyerhoff plant ein Festspielhaus in Afrika, vor dem „die in Bayreuth verblassen werden“ – in Bayreuth fing Schlingensiefs Krebs an, letztlich ist also vielleicht sogar „Hitler daran schuld“. Schlingensief/Meyerhoff kämpft mit dem Fremden in sich, den Krebszellen, die von außen durch wehende Vorhänge hereinmenetekeln, getragen von der gnadenlosen Stimme der Hermann. Auch die Frau des Künstlers, auch die Direktorin, auch die flatterhaft hysterische Hexe Kundry (Mira Partecke) und die anderen haben großartige Selbstfindungsmonologe, in denen Texte von Jelinek und Jarman, Goethe und Nietzsche, Bob Flanagan und Slavoj Zizek sich kreuzen. Wieder hängt, wie in Berlin, die operierte Lunge als riesige Wolke drohend über der Bühne, diesmal aber nur in nettem Lila, sie ist auch schon viel kleiner geworden.

Das afrikanische Festspielhaus sieht aus wie ein aus Lebkuchen gebackenes Bayreuthchen. Auch Schlingensiefs eigener Auftritt, nach der Pause, bleibt klar auf der Operettenseite des Lebens. Zwar rezitiert er wieder aus seinen Krankentagebüchern. Aber dann, schon im Abgehen, sagt er: „Und wenn Sie selbst Krebs kriegen oder etwas anderes Schlimmes, schreiben Sie alles auf, ich lese es gern.“ Ist das ernst gemeint? Mal sehen.

F.A.S. vom 22. März 2009